Kolumne

Kinderfrage: Ich bin doch keine wandelnde Gebärmutter!

Kriege, Klimakrise und Katastrophen! Welche Welt erwartet neuen Menschen? Das fragt sich die neue Nau.ch-Kolumnistin Verena Brunschweiger.

Verena E. Brunschweiger.
Autorin Verena E. Brunschweiger. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Die deutsche Autorin Verena Brunschweiger ist «kinderfrei».
  • Auf Nau.ch schreibt Brunschweiger ab heute regelmässig Kolumnen.

An einem sonnigen Sommertag bietet es sich an, draussen ein Glace zu essen. In Regensburg leben gut 150'000 Menschen und die bayerische Weltkulturerbe-Stadt verfügt über etliche wunderschöne Plätze, auf denen neue Holzbänke zum Verweilen einladen.

Auf dem Bismarckplatz kann man auch auf dem Rand eines der zwei herrlichen Springbrunnen sitzen. Man muss allerdings in Kauf nehmen, abgespritzt zu werden oder Glace auf die Kleidung zu bekommen, welches nicht das eigene ist. Auch eine angenehm ruhige Unterhaltung mit einem Freund kann man sich abschminken, das Lesen eines Buchs sowieso. Warum?

Verena Brunschweiger.
Verena E. Brunschweiger ist Autorin, Aktivistin und Feministin. - zvg

Weil Eltern den Brunnen zum kostenlosen Planschbecken machen und in absoluter Überzahl den Platz für sich beanspruchen. Ein kinderfreies Paar aus New York City, dem wir den Platz zeigen wollten, fragte schockiert, ob das hier immer so wäre, nachdem ein schrilles Brüllen fast unsere Trommelfelle zum Platzen gebracht hatte.

Hast du Verständnis dafür, wenn Frauen keine Kinder wollen?

Ich wies darauf hin, dass wir anders als beispielsweise Venedig oder Rom keinen Erlass hätten, der das Baden in Zierbrunnen verbietet. Bei uns in Bayern steht man auf volle Windeln, die im Brunnen schwimmen. Zudem chlort man lieber das Wasser als den Leuten zu sagen, dass es unappetitlich ist, wenn hundert Kinder pro Tag dort die verschwitzten Füsse gewaschen bekommen.

Michelle und Tom, das amerikanische Paar, erzählten im Anschluss, dass sie mit Kindern nicht nach Europa hätten fliegen können – aus zeitlichen, ökologischen und finanziellen Gründen. Völlig korrekt!

Warum die Väter nicht mehr einbinden?

Michelle berichtete ausserdem von ihrer wunderbaren Karriere als Lektorin – auch das ein starker Kontrast zu ihrer eigenen Mutter, die ganz traditionell ihr Leben für Mann und Kinder geopfert hatte. Ja, heute könne man als Frau ja beides haben. Theoretisch zumindest.

In der Realität jammern aber Mütter schon berechtigt über die zwei- bis dreifache Belastung, der sie im Vergleich zu den Kindsvätern unterliegen. Also warum die Väter nicht mehr einbinden? Das ist eine Idee.

Eine noch viel bessere aber ist, sich die Strapazen der Mutterschaft gleich ganz zu sparen! Schon die wunderbare Feministin Shulamith Firestone schrieb 1970, dass wir keine Tiere mehr wären und dass Schwangerschaft und Entbindung für Frauen schon rein körperlich eine echte Tortur wären (von den sozialen, finanziellen, psychisch-mentalen Folgen ganz zu schweigen).

Warum nicht lieber die Freiheit behalten?

Auch Simone de Beauvoir weist darauf hin, dass man als Feministin doch nicht dem Patriarchat den grösstmöglichen Gefallen tut, indem man ein Kind bekommt. Das sehe ich ganz genauso. Schliesslich freuen sich ja vor allem rechte Parteien, Staat und Kirche über neue einheimische Menschen … Will man wirklich solchen Institutionen in die Hände spielen?

Warum nicht lieber seine Freiheit behalten, sich selbst entfalten, seine Talente, Freundschaften und Hobbys pflegen (und nebenbei noch seine Karriere, um unabhängig zu bleiben)?

Zumal auf der Haben-Seite ja nicht viel Positives zu finden ist. Gut, man hat sein eigenes Mini-Ich, das man mehr oder minder formen kann, aber welche Welt erwartet denn diesen neuen Menschen? Kriege, Klimakrise und Katastrophen!

Michelle und ich waren uns also einig: Uns am Brunnen akustisch und anderweitig nerven zu lassen war deutlich besser, wenn man danach in eine ruhige Umgebung zurückkehren konnte, um dort wieder Dingen zu frönen, die uns als Persönlichkeiten weiterbringen und uns nicht auf unsere Gebärfunktion reduzieren, denn wie Caitlin Moran, eine englische Autorin, schreibt: «Mutterschaft lehrte mich nicht EINE Sache, die ich nicht auch woanders hätte lernen können.»

Zur Person: Dr. Verena E. Brunschweiger, Autorin, Aktivistin und Feministin, studierte Deutsch, Englisch und Philosophie/Ethik an der Universität Regensburg. 2019 schlug ihr Manifest «Kinderfrei statt kinderlos» ein und errang internationale Beachtung.

Kommentare

User #5780 (nicht angemeldet)

Warum meinen Sie eigentlich Sie hätten mehr Berechtigung an einem Brunnen zu sitzen als Kinder im Brunnen zu spielen ?

User #2222 (nicht angemeldet)

toller beitrag! danke für diese klaren und klugen worte. warum ist verenas standpunkt noch kein bestandteil von sexueller aufklärung in der schule? es ist allerhöchste zeit! ich betrachte das kinder-kriegen auch gern aus einer soziologischen perspektive. wie verändert sich der mensch als teil einer gruppe, wenn er/sie ein kind großzieht? er/sie wendet sich in oft schockierendem ausmaß von kolleg/innen und freund/innen ab. schließlich ist unsere aufmerksamkeit eine begrenzte ressource; eine familiengründung bewirkt, dass diese ressource im außerfamiliären sozialen umfeld nur noch spärlich eingesetzt wird und an einer anderen stelle plötzlich ganz großzügig verwendet wird, nämlich im familienkontext. allerdings ist als soziale wesen für uns menschen kaum etwas so wichtig wie das pflegen von einer vielzahl sozialer beziehungen. wir kennen alle das klagen von müttern und vätern über einen mangel an zeit und energie für ebendiese beziehungen. (ihre gesundheit leidet entsprechend.) also: anstatt ein neues kind auf die welt zu bringen, lass uns doch mit unserem EIGENEN inneren kind in den dialog treten und es fragen: wie mache ich dich so richtig stolz?

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