Peter Metzinger (FDP): Das CO2-Gesetz hat Kerosin im Blut
Das Wichtigste in Kürze
- Am 13. Juni stimmt die Schweiz unter anderem über das CO2-Gesetz ab.
- Ein Ja schafft unter anderem nachhaltig gesicherte Arbeitsplätze.
- Dies schreibt Peter Metzinger (FDP) in seinem Gastbeitrag.
Erinnern Sie sich noch an die Flugscham, die den Airlines Sorgen machte, als wir noch nicht wussten, dass nicht die Klimajugend, sondern ein winzig kleines Virus den Himmel über unseren Köpfen leerfegen würde? Damals hatten wir noch Sorgen…
Doch während der CO2-Ausstoss der Fliegerei ganz sicher erneut in den Fokus der Öffentlichkeit rücken wird, hat die Schweiz auch schon eine Lösung parat – eine Lösung gar, um die uns die Luftfahrtindustrie anderer Länder beneidet: eine Kombination aus Flugticketabgabe und Anschubfinanzierung für den Umstieg auf synthetisches Kerosin.
Vorletzte Woche sprach ich mit einem zukünftigen Produzenten von erneuerbarem Flugbenzin aus London. Als ich ihm erklärte, wie das neue CO2-Gesetz beides kombiniert, sprang er fast auf und sagte enthusiastisch «Wow, das ist das innovativste Konzept, von dem ich je gehört habe. Davon muss die Welt erfahren!»
Wie passt das zur kleinkrämerischen Kritik der Erdöllobby am CO2-Gesetz, wegen ein paar Rappen pro Liter, als ob die Welt daran zugrunde gehen und bald eine Hungersnot ausbrechen würde? (Dazu muss man auch noch wissen, dass die Treibstoffabgabe von Big Oil selbst erhoben und einkassiert wird, als Entschädigung dafür, dass die Erdölimporteure ihren CO2-Ausstoss reduzieren müssen, so wie alle anderen auch. In keinster Weise handelt es sich dabei um eine Steuer.)
Das neue CO2-Gesetz sieht eine Flugticketabgabe vor. Während diese ursprünglich als reine Lenkungsabgabe gedacht war – was zum Scheitern des Gesetzes im Dezember 2018 im Nationalrat beitrug – ist es ein paar kreativen Köpfen aus FDP, GLP und Mitte zu verdanken, dass 49 Prozent der Flugticketabgabe zur Finanzierung von CO2-reduzierenden Innovationen in der Luftfahrtindustrie verwendet werden können, und zwar explizit für den Einstieg in die Produktion von synthetischem Kerosin.
Bei diesen kreativen Köpfen handelt es sich um die Ständeräte Damian Müller (FDP)und Ruedi Noser (FDP), die Nationalräte Martin Bäumle (GLP) und Nicolas Paganini (Mitte) und mich (FDP), basierend auf einer Idee von ETH-Prof. Anthony Patt.
Die NZZ am Sonntag berichtete im September 2019 darüber und die NZZ kommentierte ein paar Monate später.
Fliegen und Fahren mit Luft
Synthetisches Kerosin – ebenso wie synthetischer Diesel, Benzin oder Heizöl – sind eigentlich keine neue Erfindung. Die Technologie zur Produktion ist schon über 100 Jahre alt. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Umkehrung des Verbrennungsprozesses, indem man aus den Verbrennungsprodukten CO2 und Wasser wieder Treibstoff herstellt.
Dieser Prozess erfordert Energie. Wenn diese Energie erneuerbar ist und das CO2 aus der Atmosphäre stammt (und nicht aus fossilen Quellen), dann ist der so hergestellte synthetische «Sprit» CO2-neutral. Das eigentlich Neue an dieser Technologie sind kostengünstigere Methoden zum Abscheiden von CO2 aus der Luft und die erneuerbaren Energien.
Aktuell schätzt man die Produktionskosten für einen Liter synthetischen Treibstoff auf 2.50 bis 5 Franken in der Produktion. Mit dem Geld aus der Flugticketabgabe könnte man bei heutigen Preisen 5-10 Prozent des Kerosinverbrauchs in Zürich Kloten erneuerbar produzieren.
Solche Mengen erfordern den Aufbau einer komplett neuen Industrie. Das wiederum führt zu Effizienzsteigerung und weiteren Innovationen. In dem Masse, in dem synthetisches Kerosin durch weitere Innovationen, Erfahrung und Effizienzgewinne günstiger wird, kann man die Beimischquote erhöhen.
Irgendwann zwischen 2040 und 2050 sollte nach Prognosen von McKinsey und dem World Economic Forum synthetisches Kerosin nicht teurer sein, als das fossile und die Luftfahrtindustrie kann komplett defossilisiert werden und CO2-neutral fliegen. Flugscham wird dann höchstens noch ein Thema für die Geschichtsbücher sein.
Flugticketabgabe stabilisiert das Stromnetz
Auch in anderer Hinsicht ist der Einstieg in die Produktion von synthetischem Kerosin interessant. Nutzt man erneuerbaren Strom zur Produktion, kann eine Syntheseanlage die enorme Menge an Überschussstrom im Sommer in Treibstoffe umwandeln und einer sinnvollen Nutzung zuführen. Dies unterstützt die Energiewende.
Eine Syntheseanlage kann auch als Schattenkraftwerk dienen. Man kann die Anlage drosseln, wenn der Strombedarf kurzfristig die Produktion übersteigt. Der nun nicht mehr benötigte Strom steht somit sofort anderen Nutzern zur Verfügung.
Sonst nutzt man dazu in der Regel Gaskraftwerke oder Pumpspeicherwerke. Somit können Anlagen zur Produktion von synthetischem Treibstoff einen Beitrag an die Netzstabilisierung im Zusammenhang mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien leisten.
Die Chance packen – jetzt oder nie
Ein wesentlicher Teil des Anfangs der Geschichte vom CO2-neutralen Fliegen kann in der Schweiz geschrieben werden, aber nur, wenn wir jetzt das CO2-Gesetz annehmen.
Denn auch andere Länder sind in den Startlöchern und bereiten Pilotanlagen vor, die EU plant eine Beimischquote für «Sustainable Aviation Fuel» (SAF), Saudi-Arabien steigt gerade gross in die Produktion von grünem Wasserstoff ein. In ein paar Jahren wird dieser Zug abgefahren sein. Die Zeit für einen neuen Gesetzesentwurf würde kaum reichen.
Hier kommt nun noch eine zweite Weltpremiere ins Spiel: die Anrechenbarkeit synthetischer Treibstoffe bei der Berechnung der Flotten-CO2-Emissionen, Art. 18
Der Artikel besagt im Prinzip, dass Automobilimporteure beim Import eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor eine Reduktion bei den CO2-Sanktionen beantragen können, wenn sie so viel synthetischen Treibstoff kaufen oder produzieren, wie dieses Fahrzeugs während seiner «Lebensdauer» im Durchschnitt verbraucht.
In Kombination mit den Steuererleichterungen für biogene Treibstoffe («Mineralölsteuerbefreiung») kommt dies einen Importeur nicht teurer, als die Sanktionen. Im Unterschied zum Bezahlen von Sanktionen kann er aber so einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und auch Verbrenner klimaneutral «machen».
Fünf Fliegen mit einer Klappe
Bei der Produktion von synthetischem Kerosin fällt je nachdem noch eine gewisse Menge synthetischer Diesel und ein wenig synthetisches Benzin an. Finanziert man mit der Flugticketabgabe die Produktion von synthetischem Kerosin, kann dies also gleichzeitig einen Beitrag an die Defossilisierung des Strassenverkehrs leisten, selbst wenn dessen Elektrifizierung nicht schnell genug vorankommt.
Aber damit nicht genug. Weitere Nebenprodukte sind Wachs und Paraffin, die sich sehr gut als erneuerbare Rohstoffe für die chemische Industrie eignen. An Ende landet dann CO2-neutrales Plastik in der Kehrichtverbrennungsanlage und man könnte deren CO2 klimaneutral rezyklieren.
Somit fördert die Flugticketabgabe die Defossilisierung des Luftverkehrs, des Strassenverkehrs und der chemischen Industrie, den Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion und leistet obendrein einen Beitrag zur Netzstabilisierung.
Kein Wunder, dass das Ausland anerkennt, was Big Oil in der Schweiz nicht wahrhaben will: die 49% aus der Flugticketabgabe, die für Innovation und Transformation im Airline Business verwendet werden dürfen, sind ein Game Changer und bringen die Schweiz mit Siebenmeilenstiefeln weiter in Richtung Klimaneutralität.
Und was wir hier erfinden, können wir ins Ausland exportieren. Der einzige Verlierer bei diesem «Spiel» ist die Erdölindustrie, sofern sie nicht die Zeichen der Zeit erkennt und selbst in die Produktion von synthetischem Kerosin einsteigt. Sonst werden ihr andere die Show stehlen.
Zu guter Letzt sei der Transparenz zuliebe noch bemerkt, dass die Schweiz nicht genügend erneuerbaren Strom haben wird, um für den gesamten Flugbetrieb synthetisches Kerosin zu produzieren.
Deshalb: Ja zum CO2-Gesetz
Aber auch wenn in Zukunft ein Grossteil in wind- und sonnenreichen Gegenden der Welt produziert wird, so besteht doch eine enorme Chance darin, hier mit der Produktion zu beginnen, Erfahrungen zu sammeln, neue Technologien auszuprobieren und weiterzuentwickeln und dann später die Produktion mit Schweizer Knowhow, Innovationen und Beteiligungen ins Ausland zu verlagern.
Das schafft neue Opportunitäten und nachhaltig gesicherte Arbeitsplätze, auch in der Schweiz.
Deshalb werde ich am 13. Juni ganz klar Ja zum CO2-Gesetz sagen, und ich hoffe, Sie auch.