Penis

«Vagina und kleiner Penis – zu viel für die Franzosen!»

Verena E. Brunschweiger
Verena E. Brunschweiger

Zürich,

«Die totgeglaubte Forderung nach nur zwei Geschlechtern wird allerorts laut», schreibt Verena Brunschweiger. Eine Kolumne.

gewalt lgbtiq
Die Gewalt gegenüber LGBTIQ-Personen hat auch in der Schweiz zugenommen. (Archiv) - Seth Wenig/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • In Grossbritannien wird gerade der «LGBT History Month» gefeiert.
  • Die LGBT-Community benötigt unsere volle Solidarität.
  • Eine Kolumne von Verena Brunschweiger.

Es lohnt sich oft ungemein, aufgegebene Orte («Lost Places») wiederzuentdecken. Mindestens ebenso wichtig ist es, vergessene Persönlichkeiten («Forgotten Lives») ins kollektive Gedächtnis zurückzuholen.

Vor allem dann, wenn Zustände eintreten, die es extrem wahrscheinlich machen, dass sich deren tragisches Schicksal heute schockierend ähnlich abspielen würde.

Das gilt zum Beispiel für die intersexuelle Herculine Barbin (1838-1868). Ihr «körperliches Dazwischen» wollten die Mediziner und Juristen des 19. Jahrhunderts nicht akzeptieren. Mit katastrophalen Folgen für Herculine Barbin: Sie beging mit nur 29 Jahren Selbstmord.

Herculine Barbin
Die intersexuelle Herculine Barbin. - zvg

Gemobbt und drangsaliert

Der französische Historiker und Philosoph Michel Foucault berichtet in seinen Schriften über Herculines Leben. Und er stellt dabei die Frage, ob es überhaupt ein «wahres Geschlecht» brauche, was er verneint.

Auf Deutsch heisst das entsprechende Buch über Hermaphrodismus (doppeltes Geschlecht) «Der Fall Barbin». Es beinhaltet neben Herculines Erinnerungen auch medizinische und juristische Gutachten, die den historischen Fall dokumentieren.

Verena Brunschweiger.
Kolumnistin Verena Brunschweiger. - zvg

Erniedrigende Untersuchungen

Zeitlebens wurde Herculine, die mit uneindeutigen Geschlechtsteilen geboren wurde, gemobbt und drangsaliert.

Sie wurde als Mädchen erzogen und arbeitete im Bildungsbereich. Sie verliebte sich in eine Kollegin, die allerdings feststellte, dass Herculine nicht wie die anderen Mädchen beschaffen war.

Nach erniedrigenden Untersuchungen durch die Behörden wurde Herculine als männlich klassifiziert – und wechselte auch den Vornamen.

Auch den Job verlor sie. Eine kleine Vagina und einen kleinen Penis zu haben, das war den bornierten Franzosen des 19. Jahrhunderts zu viel.

Lebenslang als abweichend von der Norm diskriminiert zu werden, demütigende Leibesvisitationen und Gerichtsprozesse hielt Herculine nicht lange aus. Sie vergiftete sich in der kleinen Pariser Wohnung mit Kohlenmonoxid.

Forderung nach nur zwei Geschlechtern

Die aktuelle politische Entwicklung geht leider wieder stark in genau diese Richtung. Schliesslich wird die totgeglaubte Forderung nach nur zwei Geschlechtern allerorts laut.

Simpel und schlicht will man es haben. Genauso wenig, wie man sich die Bratwürste nehmen lassen will. Oder die Billigflüge. Man lebt doch nur einmal!

Da man sich geistig nicht anstrengen möchte, soll es also zurückgehen hinter bereits Erreichtes.

Gendern sei sowieso wahnhaft

Rechte Parteien wünschen sich, dass Stellenausschreibungen wieder für m/w und nicht mehr m/w/d deklariert werden. Gendern ist sowieso wahnhaft – und dass es tatsächlich Menschen gibt, die mit nicht eindeutigen Geschlechtsteilen geboren werden, tja, das ist ihnen egal. Oder sie wissen es nicht.

Stets wird auch angeführt, dass es doch ein verschwindend geringer Prozentsatz wäre, dem es so erginge. Klar, ungefähr ein Prozent (die Angaben in der Forschung variieren) tönt nach wenig. Aber: Umgerechnet auf die Weltbevölkerung sind das doch etliche Leute.

Wer passt in die einfache Box?

Eine dieser Persönlichkeiten ist auch das belgische Model Hanne Gaby Odiele (*1988). Sie berichtet von viel unnötigem erlebten Leid und setzt sich für Intersex-Rechte ein.

Hanne Gaby Odiele
Das belgische Model Hanne Gaby Odiele. - Instagram

Eltern und Ärzte sollten mit Operationen warten und die Nicht-Eindeutigkeit aushalten lernen.

Progressive Parteien und Aktivisten kämpften nicht umsonst dafür, dass sich Menschen heutzutage eben nicht mehr in die binäre Matrix pressen müssen. Auch wenn Konservative, der Staat und viele andere Personen und Institutionen natürlich ein gewisses Interesse daran haben, dass jeder Mensch in eine einfache Box passt.

Altbacken, bieder und brav

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der an ungarischen Universitäten die Gender Studies verbot, Kaczynski in Polen, Putin in Russland, Meloni in Italien: Sie alle finden, dass es Männer und Frauen geben soll. Und nichts sonst!

Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, reagiert während einer Pressekonferenz. Einmal im Jahr stellt sich der ungarische Regierungschef den Fragen der in- und ausländischen Medien. Foto
Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, reagiert während einer Pressekonferenz. Einmal im Jahr stellt sich der ungarische Regierungschef den Fragen der in- und ausländischen Medien. Foto - sda - Keystone/AP/Denes Erdos

Vielfalt ist für sie offenbar etwas Negatives. Ebenso die Möglichkeit, sich frei zu entfalten und unkonventionelle Rollen auszuprobieren.

Störende Fehler der Natur

Altbacken, bieder und brav soll es doch bitteschön sein. Und bei der Verwirklichung der konservativen Idealwelt ist da kaum etwas ein zentralerer Baustein als die Aufteilung der Menschen in Männer und Frauen.

Bist du ein toleranter Mensch?

Intersexuelle werden folgerichtig in dieser für progressive Leute grausamen, vereinfachenden Welt als störende Fehler der Natur wahrgenommen, die man (operativ und anderweitig) korrigieren sollte.

Ignoranz und Empathielosigkeit von Seiten ihrer Mitmenschen kosten auch heute noch viele Personen das Leben.

Volle Solidarität!

Der «Intersex Day of Remembrance» oder «Intersex Solidarity Day» wird am 8. November begangen, dem Geburtstag von Herculine.

Dabei ist es von enormer Bedeutung, sich mit Herculines trauriger Geschichte zu beschäftigen. Damit man nicht zulässt, dass reaktionäre Parteien die Menschenrechte derer einschränken (oder sogar komplett tilgen), die nicht in ihr beschränktes Weltbild passen.

LGBT
LGBTQI+ Pride Demonstrationszug in Zürich. (Symbolbild) - Nau.ch / Simone Imhof

In Grossbritannien wird gerade mit Konzerten und anderen Events der «LGBT History Month» gefeiert. Bei uns bekommt man davon eher wenig mit. Das ist ausgesprochen schade.

Denn: Leute wie Herculine und Hanne brauchen unseren besonderen Schutz. Und unsere volle Solidarität!

Zur Person: Dr. Verena E. Brunschweiger, Autorin, Aktivistin und Feministin, studierte Deutsch, Englisch und Philosophie/Ethik an der Universität Regensburg. 2019 schlug ihr Manifest «Kinderfrei statt kinderlos» ein und errang internationale Beachtung.

Kommentare

User #1286 (nicht angemeldet)

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User #2611 (nicht angemeldet)

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