WM 2022: Wer schaut hin, wenn die Party vorbei ist?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Vorbereitungsarbeiten für die WM waren von Menschenrechtsverletzungen geprägt.
- Amnesty International fordert die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Betroffene.
- Lisa Salza appelliert an die Menschlichkeit: Schauen Sie nicht weg, engagieren Sie sich!
- Sie betont: Fussballfreude und humanitäres Engagement müssen nebeneinander Platz finden.
Am Sonntag um 19:00 Uhr Ortszeit wird das Eröffnungsspiel der Fussball-WM der Männer im Al-Bayt-Stadion angepfiffen. Gegenüber den Spielern, die auf dem Rasen ihr Bestes geben werden, ist es fair, sich dem Tag mit sportlicher Begeisterung zu nähern. Gleichzeitig dürfen die Hunderttausenden von Arbeitsmigrant*innen, auf deren Buckel diese WM ausgetragen wird, nicht vergessen gehen.
Im Al-Bayt-Stadion wurde 2020 mindestens hundert Arbeitsmigrant*innen über sieben Monate keinen Lohn ausbezahlt. Die Mehrheit der um ihr Einkommen Geprellten hatten Tausende von Dollars an illegalen Vermittlungsgebühren bezahlt, um überhaupt dort arbeiten zu dürfen.
Gastgeber und Organisation verschliessen Augen
Das lokale Organisationskomitee wusste davon, reagierte aber erst, als ein Recherche-Team von Amnesty International diese ausbeuterische Praxis aufdeckte. Die Fifa gab bekannt, nichts von den Missständen gewusst zu haben. Diese Situation, die sinnbildlich für unzählige andere steht, zeigt sehr gut auf, wie in Katar und bei der Fifa über sehr lange Zeit mit Menschenrechtsverletzungen umgegangen wurde: Indem beide Augen vor der Problematik verschlossen wurden.
Bei der Vergabe der Fussball-Weltmeisterschaften in Katar waren die Menschenrechtsrisiken dieser WM kein Thema. Verantwortung wurde erst übernommen, als schon die Hälfte der Vorbereitungszeit verstrichen war. Im Mai 2017 – nach jahrelangem Druck von Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften – erliess die Fifa ein eigenes Regelwerk für den Umgang mit Menschenrechten. Ein paar Monate später stiess Katar endlich einen Reformprozess an.
Trotz Fortschritten weitere Arbeit nötig
Amnesty anerkennt die Fortschritte bei der Fifa und im Gastgeberland. Aber es darf trotz allen Verbesserungen nicht vergessen werden, dass Tausende von Hinterbliebenen noch immer um Angehörige trauern, die in Katar unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen sind. Und dass es nach wie vor jeden Tag zu Lohndiebstahl, Zwangsarbeit und andere Menschenrechtsverletzungen kommt. Sehr viele der Betroffenen haben bis zum heutigen Tag keinerlei Entschädigung erhalten.
Ich schreibe dies nicht, um den Fans die Freude am Fussball zu verderben. Vielmehr möchte ich sie dazu auffordern, nicht nur zuzuschauen, sondern genau hinzusehen. Bei vielen ist die Empörung jetzt gross, die meisten werden sich die Spiele dennoch anschauen und sich nach dem Finale direkt dem Kauf von Weihnachtsgeschenken widmen. Das ist nicht verwerflich, solange jede und jeder sich mit den Umständen, unter denen diese WM zustande gekommen ist, auseinandersetzt und sich überlegt, was sie oder er tun kann, um gegen die Missstände vorzugehen.
Auch nach der WM 2022 bleibt Amnesty International am Ball
Formen des Engagements gibt es einige: Sie können sich der Forderung nach Entschädigungszahlungen anschliessen, mit ihren Anliegen direkt an die Fifa oder die katarische Botschaft gelangen oder sich für ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz einsetzen, das auch die kommerziell aktive Fifa binden würde.
Schauen Sie die Fussball-WM in Katar?
Amnesty wird auch nach der WM, wenn das Scheinwerferlicht längst weitergezogen ist, den Verantwortlichen auf die Finger schauen. Ich appelliere darum an all jene, die sich jetzt empören, vielleicht gar boykottieren: Bleiben Sie an unserer Seite und setzen Sie sich auch nach der WM für Menschenrechte in Katar ein!
Zwei Kernaussagen
Im Zuge der Vorbereitungsarbeiten für die WM kam es zu Hunderttausenden von Menschenrechtsverletzungen. Amnesty fordert von der Fifa und von Katar, dass sie für die betroffenen Menschen einen Entschädigungsfonds einrichten. Unterstützen Sie diese Forderung!
Egal, ob Sie die WM boykottieren oder nicht: Schauen Sie nicht weg und setzen Sie sich für Menschenrechte in Katar ein – auch wenn das Scheinwerferlicht weitergezogen ist.