Bundesbank-Chef Weidmann kritisiert neue EZB-Anleihekäufe
Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Wiederaufnahme der Anleihekäufe ist unter den 25 zuständigen Ratsmitgliedern stark umstritten gewesen.
Das Wichtigste in Kürze
- Lockerung der Geldpolitik im Zentralbankrat stark umstritten.
Bundesbank-Chef Jens Weidmann sagte der «Bild»-Zeitung, «ein so weitreichendes Paket wäre nicht nötig gewesen». Die EZB sei «über das Ziel hinausgeschossen». Auch der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot erklärte am Freitag, die Anleihekäufe seien «unverhältnismässig». Nach AFP-Informationen wandten sich im Zentralbankrat «ungefähr zehn» Mitglieder dagegen.
Aus Kreisen der EZB hiess es am Freitag, diese Zahl müsse «halbiert» werden. EZB-Chef Mario Draghi selbst hatte am Donnerstag mitgeteilt, bei der Wiederaufnahme der Anleihekäufe habe es «Meinungsverschiedenheiten» im Zentralbankrat gegeben.
Die EZB hatte am Donnerstag schärfere Strafzinsen für Banken beschlossen, die überschüssiges Geld bei der Notenbank parken - der Zinssatz beträgt statt minus 0,4 nun minus 0,5 Prozent. Ab November wird die EZB zudem wieder Staatsanleihen im Wert von 20 Milliarden Euro monatlich kaufen, und zwar «so lange wie nötig». Damit will die Notenbank die Konjunktur ankurbeln.
Weidmann sagte der «Bild»-Zeitung, «die wirtschaftliche Lage ist nicht wirklich schlecht, die Löhne steigen deutlich und die Gefahr einer Deflation, also dauerhaft sinkender Preise und Löhne, ist nicht zu erkennen». Auch Knot erklärte in Den Haag, die aktuelle wirtschaftliche Lage rechtfertige die weitere Lockerung der Geldpolitik, vor allem die Wiederaufnahme der Anleihekäufe, nicht. Es gebe «gute Gründe, an der Wirksamkeit zu zweifeln».
Weidmann sagte der «Bild», er sei mit seiner kritischen Haltung «übrigens nicht allein». Unter den Nein-Sagern im EZB-Rat waren den AFP-Informationen zufolge auch der Chef der französischen Zentralbank, François Villeroy de Galhau, und das französische Ratsmitglied Benoît Coeuré.
Laut «Spiegel» fiel die Mehrheit im Zentralbankrat am Donnerstag so knapp aus wie nie zuvor. Demnach argumentierte eine «zweistellige Zahl» von Teilnehmern gegen die Massnahme. Eine formelle Abstimmung habe nicht stattgefunden.
Die EZB hatte ihr früheres Anleihekaufprogramm erst Ende 2018 eingestellt. Weidmann sagte der «Bild», die entschlossene Reaktion der Geldpolitik auf die Finanzkrise sei richtig gewesen, «sie hat Schlimmeres verhindert». Auch angesichts des darauf folgenden Wirtschaftseinbruchs im Euroraum sei eine expansive Geldpolitik grundsätzlich angemessen gewesen.
«Dabei war mir aber immer wichtig, dass die Geldpolitik nicht ins Schlepptau der Finanzpolitik gerät», betonte Weidmann. «Denn das gefährdet unsere Fähigkeit, für stabile Preise zu sorgen. Mit dem Beschluss, noch mehr Staatsanleihen zu kaufen, ist dieses Risiko gestiegen, und es wird für die EZB immer schwerer, aus dieser Politik auszusteigen.» Die Nebenwirkungen und Finanzstabilitäts-Risiken der sehr expansiven Geldpolitik nähmen zudem zu, je länger sie dauere.
Auf die Frage nach den Folgen der EZB-Entscheidung für Sparer und Immobilienkäufer sagte Weidmann: «Für die Bevölkerung heisst das: Wer bauen will, bekommt vielleicht günstigere Kredite. Sparer dagegen sind schlechter dran.» Zudem werde es schwerer, für das Alter vorzusorgen, ohne mehr Risiko einzugehen. «Das spüren Pensionsfonds und Lebensversicherer besonders.»
Die EZB müsse «darauf achten, dass das, was sie tut, die Menschen nicht zutiefst verunsichert», riet er. «Dazu gehört auch, dass die Menschen sich darauf verlassen können, dass das Geld seinen Wert behält.»
Die Amtszeit von EZB-Chef Draghi dauert noch bis Ende Oktober. Es war seine letzte Ratssitzung mit geldpolitischer Entscheidung. Am 1. November übernimmt die ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds, die Französin Christine Lagarde, den Vorsitz.