Deutscher Buchpreis: Viele Debüts auf der Longlist
Eine komische Irre und ein arroganter Fussballprofi. Das Patriarchat als einsame Insel, der Sommer von 1969 und ein Rächer namens «Mobbing Dick». Die Longlist ist bunt - und so jung und frisch wie selten.
Das Wichtigste in Kürze
- Reihenweise haben es erste Werke junger Autoren in die Vorauswahl für den Deutschen Buchpreis 2019 geschafft.
Auf der Longlist, die 20 Titel umfasst, stehen aber auch bekannte Namen wie Saša Stanišić, Ulrich Woelk oder Marlene Streeruwitz.
«Um die Zukunft des Lesens und des Schreibens muss uns da nicht bange sein», sagte der Sprecher der siebenköpfigen Jury, der Literaturkritiker Jörg Magenau, am Dienstag in Frankfurt. «Besonders erfreulich» findet die Jury, «dass es so viele gelungene Debüts zu entdecken gab».
Wie so oft kommen auch in diesem Jahr viele starke Bücher aus Österreich. Raphaela Edelbauer etwa erzählt in «Das flüssige Land» vom Dorf Gross-Einland, unter dem ein riesiger Hohlraum liegt, über den zwar niemand spricht, der aber die Gesellschaft in die Tiefe zu reissen droht. Auch Angela Lehner zählt zu den neuen, jungen, österreichischen Autoren. Hauptperson im Psychiatrie-Roman «Vater unser» ist laut Verlag «eine Geistesgestörte, wie es sie noch nicht gegeben hat: hochkomisch, besserwisserisch und zutiefst manipulativ».
Ein weiteres Debüt aus dem Nachbarland kommt von Tonio Schachinger. «Nicht wie ihr» beschreibt den arroganten Fussballprofi Ivo «mit Wiener Milieusprache und herrlichen Fussballmetaphern», so der Verlag über das im September erscheinende Buch. Auch «Gelenke des Lichts» von Emanuel Maess ist ein Erstlingswerk, ein Bildungs- und Schelmenroman aus der DDR.
Im Mittelpunkt vieler nominierter Bücher stehen Frauen. Karen Köhlers «Miroloi» spielt auf einer abgeschotteten Insel, auf der Männer das Sagen und Frauen keinerlei Rechte haben - bis sich ein weibliches Findelkind gegen das Patriarchat auflehnt. In Nora Bossongs «Schutzzone» vermittelt eine UN-Mitarbeiterin in einem Luxushotel zwischen verfeindeten Staaten. Andrea Grill erzählt in «Cherubino» von einer Sängerin, die ihre Schwangerschaft verschweigt.
Einer der bekanntesten Namen auf der Liste ist Saša Stanišić. «Herkunft» hat bereits die Bestsellerlisten erobert. Ein ebenso witziges wie hintergründiges Buch über den Zufall, irgendwo geboren zu werden, und was sich daraus entwickeln kann. Für TV-Kritiker Dennis Scheck «eines der intelligentesten, geistsprühendsten und - nicht zuletzt - formal innovativsten Bücher dieses Frühjahrs».
Die Longlist spiegle «die stoffliche Vielfalt und den stilistischen Reichtum» der deutschsprachigen Neuerscheinungen wider, sagt Jury-Sprecher Magenau: «Gesellschaftsanalyse und Geschichtsforschung, Paranoia und Phantasie, Wunsch und Welterkundung von Kalifornien über die deutsche Provinz bis in den Kaukasus haben darin Platz.»
Geschichte und Welterkundung: Bei Alexander Osang ist das Russland zu Zeiten der Revolution («Die Leben der Elena Silber»), bei Katerina Poladjan Armenien um 1900 («Hier sind Löwen»). Zwei Bücher greifen genau 50 Jahre zurück, ins Jahr 1969: Ulrich Woelks «Der Sommer meiner Mutter» und «Wo wir waren» von Norbert Zähringer.
Liebe, Familie und all das Ungemach, das damit einhergeht: Auf der Longlist sind diese Themen - in völlig unterschiedlicher Form - vertreten mit «Kintsugi» von Miku Sophie Kühmel, «Der grosse Garten» von Lola Randl, «Die untalentierte Lügnerin» von Eva Schmidt, «Der junge Doktorand» von Jan Peter Bremer, «Brüder» von Jackie Thomae und «Flammenwand» von Marlene Streeruwitz.
Die Suche nach Gemeinsamkeiten ist vielleicht ein bisschen müssig. «Gute Bücher denken nur an sich, sie gehorchen keinen Tendenzen und Trends», sagt Hauke Hückstädt, der Leiter des Frankfurter Literaturhauses. Die Longlist sei «der Versuch, 20 ganz besonders herausragende Lektüren zu versammeln», sagt das Jury-Mitglied, «ein Ausrufezeichen für die Gegenwartsliteratur».
Zu diesen «Ausrufezeichen» gehört auch «Winterbienen» von Norbert Scheuer. Er erzählt von einem Fluchthelfer in der Eifel, der 1944 Juden in Bienenstöcken über die Grenze schmuggelt. Der Schweizer Tom Zürcher spielt im Titel mit einem der berühmtesten Romane der Weltgeschichte, «Moby Dick». Als «Mobbing Dick» wird seine Hauptfigur, tagsüber Bankangestellter, nachts zum Rächer.
203 Titel hatte die Jury gesichtet, erschienen sind sie zwischen Oktober 2018 und dem 17. September 2019. Dann nämlich wird die Liste auf sechs Titel, die Shortlist, verkürzt. Der Sieger steht am Vorabend der Frankfurter Buchmesse (14. Oktober) fest. Er erhält 25.000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro. Im vergangenen Jahr war Inger-Maria Mahlkes Roman «Archipel» mit dem angesehenen Preis ausgezeichnet worden.