Ratlose Kandidaten suchen «Wege zur Macht»

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Deutschland,

Deutschlands bekanntester Dokumentarfilmer Stephan Lamby hat über Monate die Kanzlerkandidaten begleitet. In guten Momenten nimmt sein Film die Zuschauer mit in die eisige «Todeszone» der Spitzenpolitik.

Preview der Dokumentation «Wege zur Macht. Deutschlands Entscheidungsjahr» in Berlin - mit anschliessender Podiumsdiskussion. Foto: Simon Detel/rbb/dpa
Preview der Dokumentation «Wege zur Macht. Deutschlands Entscheidungsjahr» in Berlin - mit anschliessender Podiumsdiskussion. Foto: Simon Detel/rbb/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Stephan Lamby hat sich mit seinen Dokumentarfilmen über alle Bundestagswahlkämpfe seit 1998 eine Art Backstage-Pass für die deutsche Politik erarbeitet, über den wohl kein anderer Journalist verfügt.

Er darf Blicke hinter die Kulissen der Regierungen und Parteien werfen, die sonst verschlossen bleiben. Politikerinnen und Politiker drängen förmlich vor seine Kamera. Wer in einer Lamby-Dokumentation auftaucht, erhält das Prädikat «Besonders wichtig im Politikbetrieb».

Dieses Phänomen ist auch in Lambys neuestem Film «Wege zur Macht. Deutschlands Entscheidungsjahr» zu besichtigen. Die ARD bringt den 75-Minüter am Montag (20. September) zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr, in der ARD-Mediathek steht er schon ab Sonntag. Alle drei Kandidaten liessen sich für den Film über Monate von Lamby und seinem Team begleiten: Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet, SPD-Finanzminister Olaf Scholz und die Grünen-Spitzenfrau Annalena Baerbock.

So gelingen Lamby mitunter auch andere als die aus der «Tagesschau» bekannten Szenen, als im April dieses Jahres Laschet und sein CSU-Widersacher Markus Söder um die Unions-Kanzlerkandidatur ringen. Er hat sogar einen kleinen Scoop im Film, der viel über das vergiftete Verhältnis der beiden Unionsgranden aussagt: Dass Söder am Ende verzichtet, erklärt er vor der Presse in München. Laschet und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sind ahnungslos und sagen das auch in Lambys Kamera.

Der 62 Jahre alte Journalist ist filmisch näher an Laschet als an den beiden anderen Kandidaten. Man ist in der Unionszentrale dabei, wenn Ziemiak und sein Beraterteam die für sie erfreuliche Nachricht erhalten, dass die CDU die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wider Erwarten gewonnen hat. Man darf dem jungen CDU-Generalsekretär dabei zusehen, wie er seine Sprechbausteine für die TV-Statements entwickelt. Am meisten freut sich Ziemiak selbst über seine Stanzen.

Annalena Baerbock schrumpft durch diverse Affären über Wochen vor der Kamera von der möglichen Kanzlerin zur Zählkandidatin, aber ihre Erklärungen dafür hat man bereits oft gehört.

Olaf Scholz bleibt gewollt so unnahbar, wie man ihn kennt. Die aussagekräftigste Szene dafür hat Lamby in seinem Film, wenn auch stark gekürzt: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat vor Berliner Journalisten einen negativen Wahlspot über Unionspolitiker zeigen lassen, der Empörung hervorruft. Kannte Scholz den Spot, hat er dessen Absetzung angeordnet?

Darauf antwortet Scholz nicht. Achtmal, verrät Lamby, hat er Scholz danach gefragt. Fünfeinhalb Minuten lang wich Scholz ihm aus, bis Lamby genervt aufgab. Die eine in die Dokumentation übernommene Minute macht dennoch Scholz' grösste Schwäche deutlich, das «scholzomatische» Hinwegreden über eigene Versäumnisse.

Ist «Wege zur Macht» nun ein ebenso starker Film wie viele seiner Lamby-Vorgänger? Ja und nein. Ja, da er uns in seinen guten Momenten mitnimmt in die «Todeszone» der Spitzenpolitik, wie Joschka Fischer den Kampf ums Kanzleramt einst beschrieben hat. Dort ist es kalt und einsam. Die ARD-Doku liefert Einblicke in trostlose Konferenzräume, mit seelenlosen Möbeln und allerlei Politik-Nippes vollgestellte Büros. Man erhascht sogar einen kurzen Blick auf den Videobildschirm der Ministerpräsidentenkonferenz. Das Regieren mutiert zum Homeschooling.

Und der Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sucht in seiner Werbeagentur die Plakate für den Wahlkampf aus, indem er gelbe Zettelchen auf die Motive klebt, die er mag. Das ist so unglamourös wie jede Konferenz in irgendeinem Büro und deshalb faszinierend.

Allerdings krankt «Wege zur Macht» daran, dass der Film auf Dauer genauso seine Mitte sucht wie gerade das gesamte Land. Vieles wird angerissen, nichts auserzählt: Corona, die wirtschaftlichen und seelischen Folgen, andere Krisen. Nebendarsteller wie der Pianist Igor Levit, der für das in der Pandemie zum Erliegen kommende gesellschaftliche Leben stehen soll, tragen am Ende zum Verständnis des Films ebenso wenig bei wie eine Riege von Hauptstadtjournalisten, die ihrer Ratlosigkeit wortreich Ausdruck verleiht.

Wohl aus Proporzgründen tauchen auch noch FDP-Chef Christian Lindner, Alice Weidel (AfD) und Janine Wissler (Linke) auf. Sie helfen aber auch nicht weiter.

Dieser Reigen verdeutlicht, dass das Filmteam wie wir alle überfordert war mit den sich häufig wandelnden Umständen und Inhalten dieses Wahlkampfs: Pandemie, Afghanistan, Flut, Plagiate, Kinderreporter-Fragen, dumme Lacher - und wo ist eigentlich Merkel?

Dazu die Umfragen, die nur noch momentane Stimmungsbilder einer sich auflösenden Parteienlandschaft und keine verlässlichen Prognosen mehr sind. Schliesslich flüchtet sich Laschet in den Lagerwahlkampf, Scholz ist das gar nicht so unrecht, der Film endet.

Die neue Unübersichtlichkeit verlangt nach anderen Antworten. Für «Wege zur Macht» wäre das möglicherweise die strikte Fokussierung auf die drei Kandidaten gewesen. So zieht der Film den Vorhang auf für ein Stück, das wir noch nicht verstehen.

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