Beschwerden gegen Volksabstimmungen sollen direkt vor Bundesgericht
Beschwerden zu Wahlen und Abstimmungen könnten bald direkt beim Bundesgericht eingereicht werden.
Beschwerden, die Abstimmungen und Wahlen betreffen, sollen direkt beim Bundesgericht eingereicht werden können und nicht mehr zuerst bei einer Kantonsregierung. Nachdem der Bundesrat von Dezember bis April eine Gesetzesänderung in die Vernehmlassung geschickt hatte, prüft er nun die Ergebnisse. Der Berner Sozialdemokrat und ehemalige Ständerat Hans Stöckli hatte in einer Motion bemängelt, dass Beschwerden gegen Unregelmässigkeiten bei eidgenössischen Abstimmungen derzeit bei einer Kantonsregierung eingereicht werden müssen.
Und zwar auch dann, wenn die Beschwerde Anträge enthält oder Sachverhalte betrifft, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Kantonsregierung fallen. In einem solchen Fall muss die Kantonsregierung einen formellen Nichteintretensentscheid fällen, der wiederum an das Bundesgericht weitergezogen werden kann. Dieser Formalismus führe dazu, dass Beschwerdeführer und Behörden auf der Stelle treten.
Zeitverlust durch Formalitäten
Bedauert wurde dieser Umstand vom Ständerat wegen des Zeitverlusts. Manchmal verhinderte dies sogar ein rechtzeitiges Eingreifen vor der Abstimmung. Der Bundesrat stimmte dem zu und erinnerte in seinem erläuternden Bericht zur Vernehmlassung daran, dass auch das Bundesgericht mehrfach auf diese Verfahrensmängel hingewiesen habe.
In der Vergangenheit war das Bundesgericht bei der Annullierung von Volksabstimmungen sehr zurückhaltend. Seit seiner Gründung im Jahr 1848 hat es nur ein einziges Mal ein Ergebnis annulliert. 2019 hatte es die Abstimmung von 2016 über die Volksinitiative der CVP (heute Die Mitte) mit dem Titel «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» für ungültig erklärt, weil der Bundesrat während der Kampagne falsche Informationen geliefert hatte.
Klage wegen Unterschätzung abgewiesen
Das Bundesgericht urteilte zugunsten einer Wiederholung der Abstimmung. Die CVP hatte jedoch angekündigt, darauf zu verzichten und stattdessen eine neue Initiative zu lancieren. In der Vergangenheit wurde dem Bundesgericht bereits eine andere Beschwerde gegen eine Abstimmung vorgelegt.
Die SP verlangte die Annullierung der Abstimmung über das zweite Paket der Unternehmenssteuerreform, die 2008 mit 50,5 Prozent nur sehr knapp angenommen worden war – genau so knapp wie die Abstimmung von 2022 über die Erhöhung des Frauenrenrentenalters von 64 auf 65 Jahre. Die SP begründete ihre Klage damals damit, dass der Bundesrat den Rückgang der Steuereinnahmen für den Bund massiv unterschätzt habe. Die Bundesrichter wiesen die Klage mit dem Hinweis auf die Rechtssicherheit ab, da die Reform bereits in Kraft getreten war.