Coronavirus: Skeptiker schludern bei Quellen in Abstimmungsblatt
Die Abstimmungszeitung «Moment!» will Argumente mit zahlreichen Quellenangaben belegen. Eine Überprüfung zeigt allerdings Widersprüche auf.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Gegner des Covid-19-Gesetzes verschicken eine Abstimmungszeitung in Millionen-Auflage.
- Sie will mit Quellenangaben für die Argumente punkten.
- Nau.ch hat die teilweise sehr ausführlichen Dokumente näher angeschaut.
Mit einer Abstimmungszeitung in Millionenauflage werben Zertifikatsgegner aus dem Skeptiker-Lager für ein Nein zum Covid-19-Gesetz. Die 20 Seiten sind teilweise schwere Kost, denn bei Themen wie Statistik oder Wissenschaftsphilosophie geht es ins akribische Detail.
Um nicht allzu sehr auszuufern, sind viele Argumente der «Moment!» genannten Zeitung mit Quellenangaben belegt. Eigentlich eine begrüssenswerte Form, die Meinungsbildung zu unterstützen, wenn man sich Zeit nehmen kann und will – und auch soll?
Der Check: Was taugen die Quellen von «Moment!»?
Elegant gelöst ist die Verknüpfung von gedruckter Zeitung und Online-Quellen: Diese sind online nach Artikel und Fussnotennummer gesammelt. Einen Link aus sechs Worten mag man noch einmalig abtippen, https://www.pflegeinitiative.ch/?gclid=EAIaIQobChMIp8e6-PPR8wIVC7h3Ch1mCgz8EAAYASAAEgI_EPD_BwE schreckt dagegen eher ab.
Selbst via QR-Code könnte man zur Quellen-Link-Sammlung gelangen. Die Skeptiker aus dem Umkreis der «Freunde der Verfassung» haben diesbezüglich keine Berührungsängste.
Etwas enttäuschend ist dann aber bereits die Quellen-Sammlung zum ersten Artikel ausgefallen. Gleich dreimal wird auf ein und dieselbe Quelle verwiesen, die zudem eigentlich keine ist, sondern das Argumentarium des Referendums-Komitees. Bei Quelle 2 muss man die WHO-Studie zuerst im Literaturverzeichnis suchen, wo sie dann direkt verlinkt ist. Quellen 3a, 3b und 4 verlinken dann gar nicht dorthin, wo sie angeblich sollten.
Mehr als nur technische Probleme
Nun gut, hat sich jemand bei der Programmierung verhauen, kann passieren. Aber auch inhaltlich halten die Quellenangaben nicht immer das, was sie versprechen. Zu den neun «Fake News des Bundesrats» gibt es lediglich zwei Quellen, darunter das Video einer Medienkonferenz des Bundesrats. Andere Quellen sind strenggenommen keine: Blog-Einträge oder ein Zeitungsartikel einer anonymen Autorin.
Was nicht heisst, dass die darin beschriebenen Fakten falsch sein müssen, aber für den Leser ist das schwierig festzustellen. Gerne zitiert werden natürlich auch Verschwörungstheorie-nahe Websites. Dazu gehört auch die anonym operierende «Swiss Policy Research», berüchtigt dafür, Zitate aus dem Zusammenhang zu reissen.
Beeindruckende Wissenschaft
Mit dieser Herausforderung kämpft auch «Moment!» ein wenig. Verlinkt werden durchaus auch etablierte, vertrauenswürdige Quellen wie die WHO, Fachzeitschriften, die «NZZ» oder Nau.ch. Im Titel oder in den Schlussfolgerungen findet der flüchtige Leser auch tatsächlich bestätigt, was die Abstimmungszeitung behauptet.
Das ist beeindruckend, insbesondere dann, wenn danach Fachausdrücke aneinandergereiht und Zahlen gebeigt werden. Zu oft täuscht aber der Eindruck: Die vermeintlichen Quellen sagen nicht das, was sie zur Untermauerung der Abstimmungszeitung sagen sollten.
Bewusstes Weglassen?
Beginnen wir bei unserem Lieblingsportal Nau.ch: Ja, im verlinkten Artikel steht, dass die Positivitätsrate wegen den Massentests verfälscht wird. Nur hat das BAG dies am nächsten Tag eingeräumt, der Bund korrigierend eingegriffen und der Bundesrat dies entsprechend berücksichtigt.
Auch der zitierte Ringversuch in Deutschland wies nicht «eine Falschpositivrate von bis zu 1,8 Prozent» nach. Der Versuch überprüfte keine Rate, sondern die Messgenauigkeit verschiedener Labors: Deren Fehlerquote war «verschwindend gering».
Ja, es gibt eine Harvard-Studie mit Titel «Der Anstieg von COVID-19 steht in keinem Zusammenhang mit der Impfrate». Nur: Aus dieser Analyse zu schlussfolgern, dass Impfstoffe unnötig seien, wäre irreführend und ungenau. Das sagen nicht etwa Kritiker, sondern Harvard-Professor SV Subramanian – der Autor der Studie.
In der oben erwähnten WHO-Studie steht tatsächlich, Contact Tracing sei unter allen Umständen nicht empfohlen, da unwirksam. In der Studie geht es aber um Grippe-, nicht um Coronaviren. Was «Moment!» nicht erwähnt: Für Covid-19 empfiehlt die WHO Contact Tracing ausdrücklich, wie auch für Ebola oder Tollwut. Es gibt sogar eine Rede von WHO-Generaldirektor Ghebreyesus, in der er den Unterschied zur Grippe-Pandemie erklärt.
Das gleiche Muster findet man bei der zitierten britischen Studie, die die Wirksamkeit der Impfungen kritisch beleuchtet. Oder beim Verweis auf eine Studie aus Wuhan selbst, die keine Ansteckungen durch asymptomatische Patienten fand. Erstere sagt nicht, die Wirksamkeiten seien schlecht, aber schlecht vergleichbar mangels koordinierter Tests. Letztere räumt ein, dass es sich lediglich um eine Momentaufnahme handle und die Probe-Entnahme bei 10 Millionen Menschen fehleranfällig war.
Gesamteindruck
Nebst Abstimmungspropaganda zum Covid-19-Gesetz enthält die Zeitung auch viel grundsätzliche Kritik an der Pandemiebewältigung. Die Kosten seien nicht gerechtfertigt, Spitalbetten nicht ausgelastet, Kinder willkürlich geschädigt, Covid-19 wohl weniger gefährlich, als propagiert. Daneben Meinungsbeiträge, die dann aber keine Quellennachweise haben, zum Beispiel von der Thurgauer SP-Kantonsrätin Barbara Müller.
Auch das Bild des politisch breiten Spektrums erhält etwas Schlagseite durch das Unerwähnte. Die SP will Müller aus der Partei ausschliessen wegen Schwänzens von Partei-Terminen und diverser Verfehlungen. So weigert sie sich, im ÖV Maske zu tragen, weil sie ein Attest hat. Sie weigert sich allerdings auch, das Attest jeweils vorzuweisen.
«Moment!» erweckt den Eindruck, gemeinhin würden die wirklich relevanten Fakten verschwiegen. Darum sei das Covid-19-Gesetz ein Fehler. Zertifikate, Impfungen, Tests, nützen alles nichts, aber dafür droht die totale Überwachung.
Positiv ist, dass die Links zu den Quellen alle nachgeschaut werden können. Negativ ist, dass von diesen zitierten Quellen die wirklich relevanten Fakten verschwiegen werden. Ironisch ist, dass der obige, ellenlange Link zur Pflegeinitiative eigentlich viel kürzer wäre, weil der angehängte 55-Zeichen-Code unnötig ist. Es ist der «Google Click Identifier» für die Google-Datensammlung – wer wirklich gegen totale Überwachung ist, hätte ihn… bewusst weggelassen.