Erweiterter Widerspruch zur Organspende: Das Wichtigste in Kürze
Heute Sonntag stimmt die Schweiz über neue Regeln für die Organspende ab. Neu eingeführt werden soll eine erweiterte Widerspruchslösung.
Das Wichtigste in Kürze
- Verstorbenen dürfen Organe nur entnommen werden, wenn sie zuvor eingewilligt hatten.
- Nun soll bei der Organspende neu die erweiterte Widerspruchslösung eingeführt werden.
- Wer nach seinem Tod keine Organe spenden will, muss dies so festhalten.
Neu soll bei der Organspende die erweiterten Widerspruchslösung eingeführt werden. Wer nach seinem Tod keine Organe spenden will, muss dies ausdrücklich festhalten oder Angehörige informieren. Nachfolgend das Wichtigste zur Vorlage:
Rund 450 Menschen haben in den letzten fünf Jahren pro Jahr ein gespendetes Organ erhalten. Der Bedarf ist aber höher: Ende 2021 standen 1434 Menschen auf der Warteliste. Verstorbenen dürfen Organe nur entnommen werden, wenn sie selbst sich zu Lebzeiten damit einverstanden erklärt haben.
Ist nicht bekannt, was die verstorbene Person wollte, werden die Angehörigen befragt. Wissen sie nicht Bescheid über den Willen der verstorbenen Person, lehnen sie eine Spende häufig ab. So sieht es die «erweiterte Zustimmungslösung» vor.
Indirekter Gegenvorschlag
Sieben Organe kann ein Mensch nach Angaben der Stiftung Swisstransplant spenden: Herz, Lunge, Leber, beide Nieren, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm. Transplantierbar sind zudem Gewebe und Zellen wie Augenhornhaut, Haut, Herzklappen und grosse Blutgefässe, Knochen, Knorpel, Sehnen und Bänder sowie Blutstammzellen. Mehrere Kranke können von einem Spender oder einer Spenderin ein Organ oder Gewebe erhalten.
Der Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» haben Bundesrat und Parlament einen indirekten Gegenvorschlag gegenübergestellt. Über den wird jetzt abgestimmt. Er soll bewirken, dass mehr Spenderorgane zur Verfügung stehen.
Mit den Anpassungen des Transplantationsgesetzes werden alle nach dem Tod grundsätzlich Spenderin oder Spender. Es sei denn, sie haben ausdrücklich festgehalten, keine Organe spenden zu wollen.
Liegt keine solche Willensäusserung vor, werden die nächsten Angehörigen befragt, und sie können eine Spende ablehnen. Sind keine Angehörigen erreichbar, etwa bei Touristinnen, Touristen oder Geflüchteten, dürfen keine Organe entnommen werden.
Antwort auf Organmangel
Die Initiative regelte im Gegensatz zum indirekten Gegenvorschlag den Einbezug der Angehörigen nicht. Wegen des Einbezugs der Angehörigen ist bei der Gesetzesänderung nun von «erweiterter Widerspruchslösung» die Rede. Tritt der Gegenvorschlag in Kraft, wird die Initiative zurückgezogen.
Die Erklärung, dass man nach dem Tod keine Organe spenden will, soll in ein neues Register aufgenommen werden. Nach einem Ja könnte die Umstellung frühestens 2023 erfolgen. Das Gesetz sieht zudem vor, dass die Bevölkerung regelmässig und umfassend über die neue Regelung informiert wird.
Für Gesundheitsminister Alain Berset entspricht der Wechsel von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung einem europäischen Trend. Die Änderung sei eine konkrete Antwort auf den Organmangel. Respektive auf die Tatsache, dass zu wenig Menschen sich zu Lebzeiten zur Organspende äusserten, sagte er. Laut Umfragen wären viele Menschen bereit, ein Organ zu spenden, tun ihren Willen aber nicht kund.
Erweiterte Widerspruchslösung soll Chance auf Spenderorgan erhöhen
Die erweiterte Widerspruchslösung erhöht laut den Befürwortern die Chancen für Kranke, ein gesundes Organ zu erhalten. Organe spenden können wie heute auch weiterhin nur Personen, die in einem Spital sterben.
Im Nationalrat wurde die Gesetzesänderung mit 141 zu 44 Stimmen bei 11 Enthaltungen an. der Ständerat nahm die Vorlage mit 31 Ja zu 12 Nein bei einer Enthaltung. Die Nein-Stimmen kamen in beiden Räten hauptsächlich aus der SVP- und der Mitte-Fraktion.
Das unabhängige und überparteiliche Komitee «Nein zur Organspende ohne explizite Zustimmung» hat das Referendum ergriffen. Es hält es für «ethisch fragwürdig», Menschen zu Organspendern zu machen wenn diese zu Lebzeiten nicht widersprochen haben. Wer sich nicht gegen die Organentnahme ausspreche, über dessen Körper verfügten nach dem Tod andere, und dies von Rechts wegen. Derweil garantiere die Verfassung das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung.
In den Augen des Komitees gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass mit der Widerspruchslösung die Zahl der verfügbaren Spenderorgane steigt. Es hält es zudem für nicht machbar, alle Menschen ausreichend über die Regeln zur Organspende zu informieren. Etwa weil sie die Sprache nicht sprechen oder sich nicht mit dem eigenen Tod befassen wollen.