Transplantationsgesetz: Mehr Organspenden dank Widerspruchslösung?
Bald stimmt die Schweiz über das Transplantationsgesetz ab. Die Widerspruchslösung bei der Organspende führe zu mehr Spenden, argumentiert der Bund. Stimmt das?
Das Wichtigste in Kürze
- Das BAG argumentiert, mit der Organspende-Widerspruchslösung würden mehr Organe gespendet.
- Mehrere Studien deuten aber darauf hin, dass andere Faktoren bedeutender sind.
- So etwa die Mitsprache der Angehörigen, die durch das neue Modell unterstützt würde.
Am 15. Mai könnte es bei der Organspende zum Paradigmenwechsel kommen: Die Schweiz stimmt über den Wechsel von der Zuspruchs- zur Widerspruchslösung ab. Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll dies neu festhalten müssen. Die Vorlage hat beim Stimmvolk gute Chancen.
Bundesrat und Parlament wollen mit diesem «Opt-out»-Modell im Transplantationsgesetz die Spenderate erhöhen. Das BAG schreibt dazu auf seiner Internetseite: «Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass die Widerspruchslösung dazu beitragen kann, die Zahl der Organspenden zu erhöhen.» Stimmt das?
Nur eines von mehreren ausschlaggebenden Elementen
2018 untersuchten Bioethiker der Universität Zürich im Auftrag des Bundes genau diese Frage. In ihrer Literaturanalyse werteten sie 314 Arbeiten aus, die sich mit diesem Thema befassten.
Die Analyse konnte keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Opt-out-Modell und der Spenderate nachweisen. Der Effekt sei erst recht nicht quantifizierbar, so die Autorenschaft. «Die Hinweise, dass ein Widerspruchsmodell die Spenderate positiv beeinflussen könnte, haben sich aber verdichtet», schreiben sie lediglich.
BAG-Sprecherin Katrin Holenstein weist auf Anfrage von Nau.ch darauf hin, dass das jeweilige Modell nur ein Element unter vielen sei, das zu einer höheren Spenderate beitragen könne: «Zu diesem Schluss gelangt auch die von uns in Auftrag gegebene Literaturanalyse.»
Zentral seien etwa die Ausbildung der medizinischen Fachleute, die Verbesserung der Prozesse in den Spitälern und die Sensibilisierung der Bevölkerung. Diese Bereiche habe man bereits mit dem Aktionsplan «Verbesserungen bei Organspenden» adressiert, so Holenstein.
Weltweiter Vergleich widerspricht dem BAG
Das BAG argumentiert ausserdem mit einem Vergleich zwischen verschiedenen europäischen Ländern. Solche mit einer Widerspruchslösung haben mehr Organspenden, jene mit einer Zuspruchslösung weniger.
Grössere Studien widersprechen dem aber: Eine Publikation des ISN etwa, einer Organisation für Nierengesundheit, hat 35 Länder miteinander verglichen; darunter amerikanische, asiatische und europäische.
Bei der Gesamtzahl an Organspenden nach dem Tod wurde kein signifikanter Unterschied festgestellt. Es gab jedoch bedeutend weniger Lebendspender in den Ländern mit einer Widerspruchslösung. Die ISN-Studie unterstreicht aber, dass die Rolle der Angehörigen nicht untersucht werden konnte.
Transplantationsgesetz: Der Schlüssel liegt bei den Angehörigen
Die Widerspruchslösung habe jedoch einen Effekt auf die Angehörigen, sagt Katrin Holenstein. Sie verweist auf eine Untersuchung in Wales: Der Anteil der Angehörigen, die einer Entnahme zustimmten, stieg statistisch signifikant an. Aber erst 33 Monate nach Einführung der Widerspruchslösung .
«Die Studie gelangt zum Schluss, dass sich ein Effekt nicht unmittelbar nach der Einführung einstellte, sondern es dafür etwas Zeit brauchte», sagt Holenstein. Die Zürcher Analyse kommt auch zum Schluss, dass der Einfluss der Angehörigen entscheidend sei. Dieser sei meist ausschlaggebend und werde oft sogar höher gewichtet als der Wille der Verstorbenen.
Mit dem neuen Transplantationsgesetz sollen deswegen gerade die Angehörigen in einer schwierigen Situation entlastet werden, so Holenstein. Denn in der Schweiz würden viele Menschen die Organspende unterstützen, doch mangels klar festgehaltenem Willen komme es nicht zu einer Transplantation. Das neue Vorgehen würde hier mehr Klarheit schaffen.
«Opt-Out»-Modell soll Informationsarbeit steigern
Manuela Weichelt, Zuger Nationalrätin für die Grünen, befürwortet das neue Transplantationsgesetz. Angefragt auf die unterschiedlichen Studienergebnissen sagt sie: «Ländervergleiche sind schwierig, Äpfel dürfen nicht mit Birnen verglichen werden.»
Fakt sei aber, fährt Weichelt fort, dass 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung einer Organspende positiv gegenüber stünden. «Aber nur zwei Prozent sind im Register eingetragen und nur knapp 17 Prozent tragen einen Spendeausweis auf sich.»
In der Niederlande hingegen, die eine Widerspruchslösung kennt, hätten 75 Prozent der Erwachsenen ihren Willen festgehalten. Die Informationsarbeit, hält die grüne Politikerin fest, sei also zentral.