Grosse Vorbehalte gegen allgemeinen Bürgerdienst im Nationalrat
Der Nationalrat debattierte am Dienstag die «Service-citoyen-Initiative», traf jedoch noch keine Entscheidung.

Der Nationalrat hat am Dienstag die Volksinitiative «Für eine engagierte Schweiz (Service-citoyen-Initiative)» debattiert. Einen Entscheid fällte er aus Zeitmangel noch nicht. Alle Fraktionen mit Ausnahme der GLP machten Vorbehalte gegen einen Bürgerdienst für alle Schweizerinnen und Schweizer geltend.
Die Volksinitiative verlangt, dass Schweizerinnen und Schweizer einen Dienst für Allgemeinheit und Umwelt leisten müssen, eine Art Bürgerdienst. Das könnte entweder ein Dienst bei der Armee sein oder ein anderer gleichwertiger und anerkannter Milizdienst. Die Personalbestände von Armee und Zivilschutz sollen dabei garantiert sein.
Patrick Hässig (GLP/ZH) sagte, es gehe darum, zugleich die Personalsorgen bei Armee, Zivilschutz und Zivildienst zu lösen. Dadurch werde die Schweiz resilienter in allen Krisenlagen.
Die Befürworterseite wollte eine Grundsatzdiskussion über die Einführung einer Dienstpflicht für Frauen anstossen und vertrat die Ansicht, ein Dienst zugunsten der Allgemeinheit und Umwelt würde zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau beitragen. Denn damit würde eine breite Palette von Leistungen vom Staat anerkannt.
Gegner warnen vor Überbelastung des Arbeitsmarktes
Die Gegnerinnen und Gegner kritisierten dagegen, dass die Initiative dem Arbeitsmarkt doppelt so viele Arbeitskräfte wie heute entziehe. Dies würde die Wirtschaft übermässig beanspruchen. Es sei wenig sinnvoll, Dienstpflichtige für Aufgaben einzusetzen, für welche sie weniger qualifiziert seien als in ihrem Beruf.
Schliesslich würden auch Wettbewerbsverzerrungen entstehen, argumentierte die Gegnerseite. Geringer qualifizierte Arbeitskräfte könnten vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. Es drohe Lohndumping, etwa im Gesundheitsbereich.
Die Gegnerinnen und Gegner störten sich auch daran, dass eine Dienstpflicht für Frauen eingeführt werden soll, obwohl die Gleichstellung in vielen anderen Bereichen noch nicht erreicht ist. Schon heute leisteten Frauen sehr viel unbezahlte Arbeit. «Frauen haben keinen Nachholbedarf beim gesellschaftlichen Engagement», sagte beispielsweise Marionna Schlatter (Grüne/ZH).
Grüne kritisieren Dienstpflicht-Initiative
Die Schweizerinnen und Schweizer leisteten schon heute sehr viel Freiwilligenarbeit, gab Fabien Fivaz (NE) namens der Grünen-Fraktion zu bedenken. Statt einer Pflicht brauche es mehr Wertschätzung dafür.
«Freiwilligkeit lässt sich nicht verordnen», betonte Balthasar Glättli (ZH) als zweiter Grünen-Fraktionssprecher. Glättli räumte aber ein, dass die Initiative wichtige Fragen aufnehme. Auch andere ablehnende Fraktionssprecher anerkannten dies.
Tatsächlich seien alle gefordert, sich zu engagieren, befand Martin Candinas (GR) namens der Mitte-Fraktion. Eine Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Arten von Dienst sei aber gefährlich für die Sicherheit des Landes: «Künftig würden nur noch jene Militärdienst leisten, die Lust darauf haben.»
FDP kritisiert Dienstpflicht-Initiative
Die Umsetzung der Initiative sei schlicht nicht zu handhaben, sagte Heinz Theiler (FDP/SZ). Man solle nicht für eigens zu erfindende Beschäftigungsprogramme der Wirtschaft Arbeitskräfte entziehen. Und es bleibe unklar, wie man sicherstellen wolle, dass genug Freiwillige Militärdienst leisteten.
Auch Thomas Hurter (SVP/SH) forderte, die Alimentierung der Armee müsse Priorität haben. Zudem sei unklar, was wie angerechnet werden solle. Er warnte vor einem zu starken Eingriff in die persönliche Freiheit und vor einer Benachteiligung derjenigen, die Militärdienst leisteten.
Die SP-Fraktion kritisierte, es solle ein Zwangsdienst eingeführt werden. Dies verletze das menschenrechtliche Verbot der Zwangsarbeit, sagte Fabian Molina (SP/ZH). Die Initiative bedeute auch einen Angriff auf die Arbeitsbedingungen im Land. Denn Angestellte würden damit durch billige Dienstpflichtige ersetzt.
Bundesrat lehnt Dienstpflicht-Initiative ab
Auch der Bundesrat ist gegen die Initiative. Die Arten der Dienstleistung würden bei einer Annahme massiv erweitert, insbesondere auf solche ohne Sicherheitsbezug. Der Bedarf der Gesellschaft dafür sei nicht gegeben. Wie die vorberatende Nationalratskommission will er keinen Gegenvorschlag.
Hinter der Initiative steht ein Verein. Im Initiativkomitee sitzen mehrere Mitglieder des Parlaments sowohl aus dem linken als auch aus dem bürgerlichen Lager.
Die Debatte wird am Mittwoch kommender Woche fortgesetzt.