Nationalrat will konsequent gegen Minderjährigenehen vorgehen
Die Schweiz will die Rechte minderjährig verheirateter Personen stärken. Der Nationalrat unterstützt die Gesetzesverschärfungen des Bundesrats.
In der Schweiz sollen die Rechte minderjährig verheirateter Personen verbessert werden. Der Nationalrat hat sich am Montag für eine Reihe von Gesetzesverschärfungen ausgesprochen, die der Bundesrat ausarbeitete. Sie gehen ihm in einem Punkt aber nicht weit genug.
Kernpunkte der Bundesratsvorlage sind erstens, dass ein Gericht künftig Ehen neu bis zum 25. Lebensjahr eines minderjährig verheirateten Ehepartners für ungültig erklären kann. Heute ist das nicht möglich, wenn die minderjährig verheiratete Person das 18. Lebensjahr vollendet hat und damit volljährig geworden ist. In Zukunft sollen nach Erreichen der Volljährigkeit primär die betroffene Person, aber auch die Behörden genügend Zeit bekommen, um allenfalls gegen die Ehe vorzugehen.
«Sommerferienheiraten» verhindern
Ein zweiter Kernpunkt der Vorlage ist, dass Minderjährigenheiraten in Zukunft generell ungültig sein sollen, wenn einer der Ehegatten im Zeitpunkt des Eheschlusses seinen Wohnsitz in der Schweiz hatte. Diese Regelung zielt insbesondere darauf ab, sogenannte Sommerferienheiraten zu verhindern. Damit ist gemeint, dass in der Schweiz wohnhafte Minderjährige während ihrer Ferien im Ausland verheiratet werden.
Diese zentralen Punkte der Bundesratsvorlage stiessen am Montag im Nationalrat auf einhellige Zustimmung. Eintreten auf die Vorlage, die der Ständerat im März verabschiedet hatte, war unumstritten. Es geht unter anderem um Änderungen des Zivilgesetzbuches und des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht.
Einziger Diskussionspunkt in der grossen Kammer war deshalb ein Antrag der vorberatenden Nationalratskommission, eine Abweichung vom Ständeratsentscheid vorzunehmen. Dieser sprach sich im Frühling dafür aus, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, bei Minderjährigenehen einen Punkt des geltenden Rechts beizubehalten.
Bestimmte Interessenabwägung aus Recht streichen
Es sieht vor, dass Ehen mit minderjährigen Personen in Ausnahmefällen aufrechterhalten werden können. Ist die Person zum Zeitpunkt der Prüfung noch minderjährig, soll dies allerdings nur dann möglich sein, wenn ein Richter die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse und zum Schutz der betroffenen Person als notwendig erachtet. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats beantragte, diese Interessenabwägung aus dem Recht zu streichen.
Wenn diese Ausnahme beibehalten werde, verringere das nach Ansicht der Mehrheit die Wirkung der übrigen Massnahmen, sagte Kommissionssprecherin Sibel Arslan (Grüne/BS). Eine von der Basler FDP-Nationalrätin Patricia von Falkenstein angeführte Kommissionsminderheit argumentierte hingegen, europäische Länder wie Italien, Spanien und Schottland erlaubten Ehen beispielsweise von 17-Jährigen. Es brauche eine gewisse Flexibilität.
Die Mitte und die FDP stellten sich laut ihren Fraktionssprechenden hinter diese Überlegungen, während die SVP-, SP- und die Grünen-Fraktion für eine strengeres Vorgehen waren. Solche Heiraten zwischen 17-Jährigen gebe es nur sehr selten, argumentierte Raphaël Mahaim (VD/Grüne). Wenn die Schweiz ein klares Signal gegen Minderjährigenheiraten aussenden wolle, sei auch die von von Falkenstein erwähnte Ehe von Schotten zu verbieten.
Flexiblere Variante angenommen
Bundesrat Beat Jans warb für ein Ja zur flexibleren Variante des Ständerats und der Kommissionsminderheit, für die sich auch die Landesregierung ausgesprochen hatte. Wenn es sich um eine Zwangsheirat handle, werde die Ehe auf jeden Fall für ungültig erklärt, sagte Jans zur Begründung unter anderem. Nach dem mit 122 zu 65 Stimmen bei einer Enthaltung ausgefallenen Entscheid zugunsten der Kommissionsmehrheit geht nun die Bundesratsvorlage zur Bereinigung der Differenz zurück in den Ständerat.
Erzwungene Ehen und Ehen mit Minderjährigen sind in den vergangenen Jahren vermehrt ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt. In der Schweiz zählten Behörden in einer Erhebung zwischen 2013 und 2017 insgesamt rund 350 Verdachtsfälle ungültiger Ehen wegen Zwang oder Minderjährigkeit. Der Bundesrat präsentierte den Entwurf seiner Vorlage zum Schutz von Minderjährigen vor Zwangsehen im vergangenen August.