Organspende: Ethikexpertin bedauert Stossrichtung der Kampagne
Im Rahmen einer neuen Sensibilisierungskampagne des Bundes soll die Bevölkerung über die Organspende informiert werden. Eine Ethikexpertin ordnet ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Wer in der Schweiz nach dem Tod keine Organe spenden möchte, muss dies künftig festhalten.
- Während der Übergangsphase soll die Sensibilisierungskampagne die Bevölkerung informieren.
- Für Ethikexpertin Ruth Baumann-Hölzle stellt die Kampagne die zentrale Frage leider nicht.
Am 15. Mai 2022 hat sich die Stimmbevölkerung mit einem Ja-Stimmenanteil von gut 60 Prozent für die Widerspruchslösung bei der Organspende ausgesprochen. Wer nach seinem Tod in der Schweiz keine Organe spenden möchte, muss dies also künftig festhalten. Weil die Details zur Umsetzung erst im Verordnungsrecht geregelt werden müssen, kann die Bestimmung allerdings frühestens 2025 eingeführt werden.
Aus diesem Grund haben das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Stiftung «Swisstransplant» eine gemeinsame Sensibilisierungskampagne lanciert. Im Rahmen der Kampagne «Regeln statt aufschieben: die Organspende» soll die Bevölkerung während der Übergangsphase zwischen 2022 und 2024 regelmässig zum Thema Organspende informiert werden.
Informierte Zustimmung kommt zu kurz
Doch sind längst nicht alle mit der Stossrichtung des Bundes einverstanden: Ruth Baumann-Hölzle bedauert, dass die Informationskampagne «die zentrale Frage in der Angelegenheit» nicht stelle. Die Leiterin des «Interdisziplinären Instituts für Ethik im Gesundheitswesen» der Stiftung «Dialog Ethik» betont gegenüber Nau.ch: Die ethischen Herausforderungen rund um die Organspende liessen sich nicht einfach auf eine simple Entscheidungsfrage über die Organentnahme reduzieren.
Stattdessen sollten die ethischen Überlegungen rund um die «informierte Zustimmung» auch im Rahmen der Sensibilisierungskampagne im Zentrum stehen. Die informierte Zustimmung bezeichnet im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen die von Information und Aufklärung getragene, rechtlich geforderte Einwilligung des Patienten. Dabei handelt es sich um einen verfassungsmässig garantierten Rechtsanspruch.
Diese informierte Einwilligung ist üblicherweise ein Vorgang der «Individualethik» – der Informationsauftrag liegt also beim behandelnden Arzt. Demnach muss ein Mediziner seinen Patienten im Vorfeld über Abläufe und Risiken einer Massnahme in Kenntnis setzen. Nur so kann eine rechtsgültige Einwilligung vorliegen.
«Leben ist entscheiden»
Die Ethikexpertin ist der Ansicht, dass die Maxime «Leben ist entscheiden» an der Stelle von «Leben ist teilen» stehen müsste. Denn mit der veränderten Rechtslage im Rahmen der künftig geltenden Widerspruchslösung würde der Informationsauftrag auf den Rechtsstaat übertragen: Wenn das Schweigen einer Zustimmung gleichkommt, müsse der Staat sicherstellen, dass es sich um ein «informiertes Schweigen» handle.
Gerade hier greife die Kampagne des Bundes aber zu kurz, findet Baumann-Hölzle. Sie fordert, dass der Bund die veränderte Rechtslage in den Fokus der Kampagne rückt. Aktuell sei das Informationsmaterial allerdings darauf ausgerichtet, möglichst viele Personen zu einem positiven Entscheid über die Organentnahme zu «schubsen».
Organspende: Vorbereitende Massnahmen vor Abklärung
Gesteigerte Anforderungen an das Informationsmaterial des Bundes sind indes durchaus plausibel: In der veränderten Rechtsordnung können vorbereitende Massnahmen nämlich bereits vor der definitiven Klärung der Spendeentscheidung eines Patienten vorgenommen werden. Diese Massnahmen haben keinerlei direkten Nutzen für die sterbende Person. Stattdessen dienen sie dazu, die potenziellen Spenderorgane vor Schäden zu bewahren.
Der Sammelbegriff bezeichnet Massnahmen wie die Fortführung der künstlichen Beatmung. Aber auch die Verabreichung von Medikamenten zur Regulierung des Kreislaufes oder des Hormonhaushaltes fällt unter die Rubrik der vorbereitenden Massnahmen. Überdies können Proben für Laboruntersuchungen entnommen werden.