Sollen Parlamentarier eher gegen Corona geimpft werden?
Parlamentarier mit Risikofaktoren sollen möglichst schnell geimpft werden. Die Forderung ist selbst unter Parlamentariern umstritten.
Das Wichtigste in Kürze
- Risiko-Parlamentarier sollen bis zur Frühlingssession geimpft sein.
- Dieses Anliegen richten die Präsidenten von National- und Ständerat an die Kantone.
- Im Parlament selbst ist die Forderung indes umstritten.
Zur Aufrechterhaltung des Parlamentsbetriebs brauche es auch geimpfte Parlamentarier. Dies schreiben die Präsidenten von National- und Ständerat, Andreas Aebi und Alex Kuprecht (beide SVP). Gemeinsam haben Sie in einen Brief an die kantonalen Gesundheitsdirektoren geschrieben. Gefährdete Personen soll es möglich sein, «sich im Hinblick auf die Frühjahrssession in ihren Wohnsitzkantonen gegen Covid-19 impfen zu lassen».
«Vorbildfunktion» oder «völlig weltfremd»?
CVP-Fraktionspräsidentin Andrea Gmür begrüsst das Anliegen. «Ich finde es ok, dass sich ‹besonders gefährdete Personen› (ich gehöre nicht dazu) vorgängig zur Session impfen lassen können.»
Nicht nur, um den parlamentarischen Betrieb aufrechtzuerhalten, sondern auch wegen der Vorbildfunktion der Volksvertreter. «Es gibt sehr viel Widerstand gegen das Impfen. Parlamentarier sollen zeigen, dass sie sich impfen lassen.»
Ganz anders SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. «Der Kapitän geht als letztes vom Schiff!», lautet seine Devise.
Die Bevorzugung von Parlamentariern sei völlig weltfremd, alle anderen seien zuerst dran. Das sei verantwortungsvolles Handeln, nicht «die Handlungsfähigkeit der Bundesversammlung zu wahren», wie seine Parteikollegen den Kantonen schreiben.
Forderung unklar
Nur: Was haben die Herren Aebi und Kuprecht eigentlich genau geschrieben? Die Worte der Präsidenten scheinen den Parlamentsmitgliedern etwas missverständlich zu sein. «Ich meine, diese Empfehlung gelte nur für Parlamentarier, die einer Risikogruppe angehören», stellt FDP-Fraktionschef Beat Walti fest. Das sei okay, denn an einem möglichst normalen, insbesondere repräsentativen Parlamentsbetrieb habe die Öffentlichkeit ein Interesse.
So sehen dies auch die Fraktionspräsidenten von SP und Grünen, Roger Nordmann und Aline Trede. Aber: Keine Vorzugsbehandlung für Politiker, stellt Trede klar. Was ja eben auch nicht vorgesehen sei, so Nordmann. «Nach meinem Verständnis sollen sie entsprechend der Priorität für die normale Bevölkerung geimpft werden, aber nicht vorher.»
Das stimmt aber nur halb: Zwar sollen sich in der Tat nur «besonders gefährdete» National- und Ständeräte impfen lassen können. Also analog zu den Regeln für die Gesamtbevölkerung – aber eben vor der Frühlingssession. Diese beginnt am 1. März und bis dann reicht der Impfstoff je nach Kanton nur etwa für die Hälfte der Risikogruppen.
Gefährdete Politiker wollen keine Privilegien
Das hiesse, dass man Parlamentarier eben doch bevorzugen und in der virtuellen Impf-Warteschlange vorne reindrängeln liesse. Wenn die Fraktionen diese Forderungen kaum unterstützen und zum Teil auch nicht so verstanden haben wollen: Woher kommt sie dann?
In einem Nau.ch vorliegenden Brief hat die Grüne Nationalrätin Stéfanie Prezioso zwar Nationalratspräsident Andreas Aebi zum dringenden Handeln aufgefordert. Prezioso leidet an einer chronischen Atemwegserkrankung und konnte im Dezember erneut nicht an der Session teilnehmen. Doch Privilegien lehnt sie wie ihre Fraktionschefin Trede strikt ab; stattdessen fordert sie die volle Umsetzung der Teilnahme per Videokonferenz.
Entspannter sieht dies Fraktionskollege Daniel Brélaz. Als 70-Jähriger erfüllt er die Impfkriterien zwar nicht. Er werde aber morgen geimpft und habe seinen zweiten Termin noch vor der Frühlingsession. Denn mit einem Bodymassindex von 35 zähle er ganz regulär zur Risikogruppe.
Mit der bevorzugten Impfung von anderen Politikern sehe er weniger ein Problem: «Falls es wirklich gefährdete Personen sind und die Definition nicht zu stark ausgeweitet wird.» Ein Punkt, den auch SPler Nordmann herausstreicht: Es gehe wohl lediglich um 15 bis 20 Personen. Brélaz ergänzt: «Gemäss Medienberichten haben sich ja alle Bundesräte impfen lassen, auch die, die nicht gefährdet sind.»