Wahlen 2023: Longchamp sieht GLP weiterhin auf Bundesrats-Kurs
Seit ihrer Gründung reiten die Grünliberalen auf einer Erfolgswelle. Für die Wahlen 2023 sieht Politologe Claude Longchamp die GLP auf Kurs, aber mit Defiziten.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Jahr vor den Wahlen prüft Politikexperte Claude Longchamp den Formstand der Parteien.
- Insgesamt rechnet er der GLP gute Chancen ein, die Resultate von 2019 zu bestätigen.
- Zugleich verweist er auf das unscharfe Profil und das Fehlen von prägenden Figuren.
Im August hat Parteipräsident Jürg Grossen die Ambitionen der Grünliberalen umrissen: Falls die GLP 2023 mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen erhält und Sitze im Ständerat macht, möchte die Partei Anspruch auf einen Bundesratssitz erheben.
Sind die Ziele der Grünliberalen realistisch? Nau.ch hat bei Politikwissenschaftler Claude Longchamp nachgefragt, wie es für die Wahlen 2023 um die Form der Partei steht.
Seit ihrer Gründung geht es für die Grünliberalen steil bergauf. Auch für die Wahlen 2023 errechnet Claude Longchamp der Partei gute Chancen: Besonders im Nationalrat dürfte sie erneut in der Nähe der Zehn-Prozent-Marke landen. Das Thema einer grünliberalen Bundesratskandidatur wird uns also auch in Zukunft weiterhin beschäftigen.
Partei der Unzufriedenen
Longchamp beschreibt die Grünliberale Partei als «typisches Schweizer Phänomen der Unzufriedenheit mit dem Status Quo». Die GLP profitiere davon, dass sie sowohl von der FDP, als auch von der SP Wähler abwerben könne. Neuerdings gelte Ähnliches auch für die Wählerschaft der Grünen – welche zunehmend als polarisierend wahrgenommen werden.
Vielen «Wechselwählenden» ginge es nämlich nur um «die Kernfrage nach ökologischen Reformen». Dieselben müssten moderat gestaltet werden, um im Parlament mehrheitsfähig zu sein. Aus dieser Perspektive sei die GLP auch für die Wahlen 2023 «sehr gut platziert».
Partei des Aufbruchs
Gleichzeitig warnt der Experte, dieser Pluspunkt sei auch riskant. «Es ist ein neues Phänomen, das selten ist in der Schweizer Parteienlandschaft: Dass eine Partei von so vielen verschiedenen Seiten Wechselwähler gleichzeitig anziehen kann. Das kann auch einmal schief gehen.» Abgesehen von dieser Anziehungskraft ist das Profil der GLP nämlich mit reichlich Unschärfe versehen.
Bis anhin konnte die junge Partei noch davon profitieren, dass sie den «Wunsch nach Neuem» verkörpert. Der Aufbruch von historischen Kräfteverhältnissen im Parlament und der klassischen Konkordanzdemokratie sorge noch immer für viel Zulauf. «Bei Personen, ich sag jetzt mal unter 40, die offen sind für etwas Neues, stösst sie eindeutig auf Resonanz.» Longchamp verortet hier die Stärke der GLP, sei es bei der Kernwählerschaft, aber auch bei Wechselwählern.
Partei der Überraschungen
Jenseits von Wechsel- und Jungwählerschaft könne die GLP allerdings kaum auf starke Unterstützung aus klar definierten demografischen Gruppen zurückgreifen. Insgesamt stelle die Partei eine Art «Wundertüte» dar. Longchamp erklärt: «Man weiss nie ganz genau, wie sich die GLP im Einzelfall entscheidet.»
Im Nationalrat positioniere sich die Partei in FDP-Nähe – an der Delegiertenversammlung folge wiederum ein Appell an die rot-grünen Wurzeln. Die Grünliberalen seien sowohl gesellschafts- als auch marktliberal. Gleichzeitig biete die Partei in dieser Kombination aber auch ein inhaltliches Programm, welches sie deutlich von allen anderen Parteien abhebe.
Schwächen im Ständerat
Überdies verweist Longchamp auf die Abwesenheit der Partei im Ständerat. Um im Majorzwahlverfahren der kleinen Kammer erfolgreich zu sein, «muss man Allianzen eingehen». Ebenda sieht der Politikwissenschaftler die grösste Schwäche der Partei.
Längerfristig müssten die Grünliberalen hier nämlich ein klares Bekenntnis abliefern: Positioniert man sich für die Wahlen 2023 eher rechts oder eher links der Mitte?
Auch für die Wahlen 2023 kaum prägende Figuren
Schliesslich identifiziert Longchamp nur wenige prägnante Persönlichkeiten. Das sei eine weitere Schwäche der Grünliberalen. Die Partei stand lange unter der charismatischen Führung von Gründer Martin Bäumle. «Dahinter gibt es allerdings durchaus einen gewissen Mangel an Persönlichkeiten.»
In diesem Zusammenhang verweist der Politikexperte auf die Bundesratsambitionen von Nationalrätin Tiana Moser: «Ich kann mir durchaus vorstellen, dass mit Tiana Moser gewissermassen eine neue Integrationsfigur der Grünliberalen entsteht.»