EU nennt Sanktionen gegen Russland wegen Nawalny-Anschlags möglich
Die EU und die Nato prüfen nach dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ihren weiteren Umgang mit Russland.
Das Wichtigste in Kürze
- Nato berät am Freitag in Sondersitzung über den Fall.
Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete am Donnerstagabend Sanktionen gegen Moskau als mögliche Option. Die Nato berät ihrerseits an diesem Freitag in einer Sondersitzung über den Fall Nawalny.
Nach der Sitzung des Nordatlantikrats will Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel vor die Presse treten (gegen 12.30 Uhr), wie eine Nato-Sprecherin ankündigte. Für die EU erklärte Borrell, Brüssel behalte «sich das Recht vor, geeignete Massnahmen, einschliesslich restriktiver Massnahmen, zu ergreifen», sollte Russland bei den Ermittlungen zu dem Anschlag nicht kooperieren.
Die Bundesregierung hatte am Mittwoch erklärt, Nawalny sei «zweifelsfrei» mit einem chemischen Nervenkampfstoff vergiftet worden. Der bekannte Kritiker des russischen Staatschefs Wladimir Putin war am 22. August mit Vergiftungserscheinungen aus Russland nach Berlin geflogen worden, wo er seither in der Klinik Charité behandelt wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte den «versuchten Giftmord» und kündigte an, dass gemeinsam mit EU und Nato über eine «angemessene» Reaktion entschieden werde.
Borrell erklärte nun, die EU verurteile «den Mordversuch» an Nawalny «auf das Schärfste». Die russische Regierung müsse «ihr Möglichstes tun, um eine gründliche und transparente Untersuchung dieses Verbrechens vorzunehmen». Borrell forderte Moskau im Namen der 27 EU-Mitgliedstaaten auf, «uneingeschränkt» mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zusammenzuarbeiten, um eine «unparteiische internationale Untersuchung sicherzustellen».
OPCW-Generaldirektor Fernando Arias betonte in Den Haag, der Fall Nawalny gebe «Anlass zu ernster Besorgnis». Nach der Konvention über das Verbot von Chemiewaffen werde der Einsatz von Nervengiften als «Einsatz von Chemiewaffen» gewertet. Der Einsatz chemischer Waffen sei grundsätzlich «verwerflich» und verstosse gegen die «von der internationalen Gemeinschaft festgelegten Rechtsnormen».
Nach Angaben der Bundesregierung wies ein Labor der Bundeswehr nach, dass Nawalny durch einen Nervenkampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Das von sowjetischen Wissenschaftlern entwickelte Nervengift war auch bei dem Anschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal im März 2018 im englischen Salisbury zum Einsatz gekommen. Als Konsequenz aus dem damaligen Anschlag nahm die OPCW Nowitschok in ihre Liste verbotenen Substanzen auf.
Moskau bestreitet jede Schuld am Gesundheitszustand Nawalnys. Der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, warnte die Bundesregierung vor einer «Politisierung» des Falls. Solange die Situation nicht geklärt sei, rufe er dazu auf, auf «vorläufige Einschätzungen zu verzichten und sich nur auf die Fakten zu stützen», sagte Netschajew im ZDF. «Die Vorwürfe, dass Russland irgendwie in diesen Vorgang verwickelt ist», nannte der Diplomat verfehlt.
Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) hatte den Botschafter «zu einem dringenden Gespräch» in sein Haus eingeladen. Netschajew sagte dazu, bei dem Gespräch seien «keine Vorwürfe in Bezug auf Russland oder die russischen staatlichen Strukturen vorgebracht» worden.
In Deutschland wurde unterdessen weiter über einen möglichen Stopp der Arbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als mögliche Sanktion gegen Russland debattiert. Dies hatte der Vorsitzende des Bundestags-Aussenausschusses, Norbert Röttgen (CDU), angeregt. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sprach sich jedoch dagegen aus. Die Gas-Pipeline sei wichtig für die Energieversorgung Deutschlands wie ganz Europas, sagte er dem «Handelsblatt».
Woidke nannte den Anschlag auf Nawalny zwar «einen Vorgang, der nicht unter den Teppich gekehrt werden kann». Zugleich «dürfen wir uns aber nicht den Ast absägen, auf dem wir sitzen», sagte der Ministerpräsident mit Blick auf Nord Stream 2.