Johnson kämpft in London um Zustimmung zu Brexit-Abkommen
Das Wichtigste in Kürze
- Ausgang der Abstimmung im Unterhaus völlig ungewiss.
Am Vorabend der entscheidenden Abstimmung im Unterhaus warnte Johnson, ein besseres Ergebnis als seine Vereinbarung mit Brüssel werde es nicht geben. Eine Mehrheit für das Abkommen bei der historischen Sondersitzung am Samstag ist aber ungewiss.
Johnson hatte nach dem Durchbruch bei den Verhandlungen mit der EU gesagt, er sei «sehr zuversichtlich», dass die Parlamentarier in London diesem «grossartigen neuen Deal» zustimmen. Seitdem telefonierte er mit zahlreichen Abgeordneten, am Freitagnachmittag traf er sich mit seinem Kabinett.
Die EU und Grossbritannien hatten am Donnerstag einen Durchbruch in den Verhandlungen über den Austrittsvertrag erzielt und die hochumstrittene Frage des Status der britischen Provinz Nordirland geklärt. So weit war aber Johnsons Vorgängerin Theresa May auch schon, bevor das britische Parlament drei Mal gegen ihre Vereinbarung mit der EU gestimmt hatte.
Johnson braucht mindestens 320 Stimmen für sein Abkommen. Er muss eine Menge Überzeugungsarbeit leisten, da er im Unterhaus keine eigene Mehrheit hat. Politische Beobachter sagen ein äusserst knappes Ergebnis hervor; das Schicksal des neuen Brexit-Deals liegt demnach in den Händen einiger weniger unentschlossener Abgeordneter.
Die Oppositionsparteien kündigten bereits an, gegen die neue Vereinbarung mit der EU zu stimmen und auch die mit den Tories verbündete nordirische Partei DUP reagierte ablehnend. Die DUP kritisiert unter anderem, dass die Vereinbarungen zu neuen Handelsbarrieren zwischen Nordirland und dem britischen Festland führen könnten.
Johnson muss zudem die Brexit-Hardliner innerhalb seiner eigenen Konservativen Partei überzeugen, ebenso wie ehemalige Kollegen, die er selbst aus der Partei geworfen hatte, weil sie einen Ausstieg aus der EU ohne Abkommen verhindern wollten - und zudem noch oppositionelle Labour-Abgeordnete, deren Wahlkreise den Brexit befürworten.
Die Opposition dürfte darüber hinaus versuchen, Änderungsanträge einzubringen, etwa um ein Referendum über das Brexit-Abkommen durchzusetzen. Auch der frühere konservative Regierungschef John Major und sein Labour-Nachfolger Tony Blair plädierten in einem gemeinsamen Videoauftritt für ein zweites Referendum. Am Samstag ist vor dem Parlament eine Kundgebung zugunsten eines weiteren Referendums vorgesehen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte vor den Folgen einer Ablehnung des Brexit-Abkommens im britischen Parlament. Wenn es in Westminister keine Zustimmung gebe, «dann sind wir in einer extrem komplizierten Situation», sagte Juncker.
Johnson wollte zu Beginn der Sondersitzung um 10.30 Uhr nochmals das Wort ergreifen. Den Abend davor warb er nochmals in den Sendern BBC und ITV für das Abkommen. Nach mehr als dreijährigem Chaos denke er, dass die «Nation am Samstag einen grossen Seufzer der Erleichterung ausstossen» werde, sollte das Abkommen das Parlament passieren, sagte der Premierminister. Eine Entscheidung dürfte aber nicht vor dem Abend fallen.
Bei einer Zustimmung zu dem neuen Abkommen will die Regierung am Montag den Gesetzentwurf für seine Umsetzung vorlegen. Sollte der Deal in Westminister durchfallen, stellt sich die Frage eines weiteren Aufschubs für den Brexit. Johnson will den EU-Austritt unter allen Umständen zum 31. Oktober, notfalls auch ohne Abkommen.
Das Parlament hatte allerdings im September ein Gesetz zur Verhinderung eines ungeregelten Brexit beschlossen. Demnach muss Johnson bei der EU eine erneute Brexit-Verschiebung beantragen, sollte bis Samstag kein Austrittsabkommen vorliegen. Der Premierminister bleibe bei seiner Haltung: «das neue Abkommen oder kein Abkommen, aber keine Verschiebung», hiess es aus Regierungskreisen in London.
Sollte das Unterhaus dem Brexit-Vertrag zustimmen, müssten ihn auch die EU-Abgeordneten noch ratifizieren. Bereits am Donnerstag kommender Woche könnte es dazu eine Sitzung geben.