«Machtlos»: Selenskyj kritisiert UN in seiner Rede
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat vor dem UN-Sicherheitsrat gesprochen. In seiner Rede verlangte er grundlegende Reformen.
Zum ersten Mal seit Beginn des Kriegs nimmt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich bei einer UN-Generalversammlung teil. Seine kraftvolle Rede beinhaltet Vorwürfe: Die Vereinten Nationen seien machtlos und müssten dringend reformiert werden. Die Organisation begegne Problemen mit «Rhetorik» statt «echten Lösungen».
President @ZelenskyyUa voiced his two-point peace plan to end the war in #Ukraine at the #UN Security Council:
— Aurora Borealis 🤫 (@aborealis940) September 20, 2023
▪️ Complete withdrawal of all #ruZZian troops and military formations, including the #ruZZian Black Sea Fleet, pic.twitter.com/lpw3ZDVY4Y
Selenskyj verlangte einen Mechanismus, um Vetos im Sicherheitsrat zu überwinden. Ausserdem plädierte er für eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrats um weitere ständige Mitglieder wie Deutschland. Er sprach sich für ein System aus, um frühzeitig auf Angriffe auf die Souveränität anderer Staaten zu reagieren.
Präsident zeigt sich kämpferisch
Der UN-Sicherheitsrat traf sich am Rande der Generaldebatte der Vereinten Nationen. Bei der Sitzung sollte später auch der russische Aussenminister Sergej Lawrow sprechen. Lawrow blieb der Sitzung und der Rede Selenskyjs zunächst fern. Er schickte zum Auftakt den russischen UN-Botschafter Wassili Nebensja in die Runde.
Selenskyj sass in einem olivgrünen Hemd am runden Tisch im Saal des Sicherheitsrates, gegenüber von Nebensja. Der ukrainische Präsident erwähnte, dass der Krieg bereits 574 Tage dauere.
Russland habe Zehntausende Ukrainer getötet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht. Die Vereinten Nationen hätten das nicht verhindert. «Wir sollten erkennen, dass sich die UN in der Frage der Aggression in einer Sackgasse befindet», beklagte er.
Selenskyj setzt auf Deutschland
Selenskyj kritisierte, das Vetorecht Russlands blockiere die Vereinten Nationen. Die UN-Generalversammlung müsse eine Befugnis erhalten, um ein solches Veto zu überwinden. Ausserdem sollten mehr Mitglieder in den UN-Sicherheitsrat aufgenommen werden, darunter Deutschland. «Deutschland ist zu einem der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit geworden», sagte Selenskyj.
Es habe einen Platz unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates verdient. Auch Lateinamerika und die pazifischen Staaten sollten dort dauerhaft vertreten sein, ebenso die Afrikanische Union. Asien verdiene ebenfalls eine stärkere Präsenz. Es sei ungerecht, wenn Milliarden Menschen dort nicht repräsentiert seien.
Blockaden erschweren Zusammenarbeit
Dem Sicherheitsrat gehören derzeit 15 der 193 UN-Mitgliedstaaten an. Fünf Atommächte sind ständig dabei und haben Vetorecht bei allen Entscheidungen: die USA, China, Russland, Grossbritannien und Frankreich. Einige der anderen 188 Mitgliedstaaten wechseln sich auf den verbleibenden zehn Sitzen alle zwei Jahre ab.
Deutschland bewirbt sich alle acht Jahre um einen Sitz, das nächste Mal für 2027/28. Die Bundesregierung erhebt ausserdem den Anspruch, bei einer Erweiterung der ständigen Sitze als grösste Wirtschaftsmacht Europas berücksichtigt zu werden.
Seit Jahren gilt das Gremium wegen gegenseitiger Blockaden der USA, Chinas und Russlands in zentralen Fragen als weitgehend handlungsunfähig. Über eine grundlegende Reform des Sicherheitsrats wird seit Jahrzehnten diskutiert, ohne dass es Fortschritte gibt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich am Dienstagabend in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung ebenfalls für eine UN-Reform stark gemacht.
Mit Vorab-Sanktionen abschrecken?
Selenskyj plädierte bei seiner Ansprache auch für ein System, um früh auf Angriffe auf die Souveränität anderer Staaten zu reagieren. Die russische Invasion in der Ukraine habe gezeigt, welchen Nutzen ein solcher Mechanismus haben könne. Und auch, welche Auswirkungen mächtige Sanktionen gegen einen Aggressor hätten – in der Phase des Aufbaus der Invasionsarmee.
«Wer einen Krieg beginnen will, sollte vor seinem fatalen Fehler sehen, was genau er verlieren wird», mahnte er. «Wir sollten nicht warten, bis die Aggression vorbei ist. Wir müssen jetzt handeln.»
Der Ukrainer schlug ausserdem vor, auf der Grundlage der ukrainischen Friedensformel Gruppen zu bilden. Diese Gruppen hätten die Aufgabe, eine Liste von Entscheidungen und Vorschläge zu erarbeiten. Kiew sei bereit, zehn Konferenzen auf der Ebene der Berater und in Übereinstimmung mit den zehn Punkten der Friedensformel abzuhalten. Später könne der Entwurf den Staatsoberhäuptern auf einem Gipfel zur Prüfung vorgelegt werden.
Kriegseinfluss auf Weltgeschehen
Am Dienstag hatte Selenskyj bei der UN-Generaldebatte gesprochen und Russlands Krieg als Angriff auf die gesamte Welt dargestellt. Er warnte die UN-Mitgliedsländer, sie könnten als nächste Opfer russischer Aggression werden.
Nach seinem Besuch in New York wollte Selenskyj nach Washington weiterreisen. Dort sind am Donnerstag Treffen mit US-Präsident Joe Biden und Kongressmitgliedern geplant. Die Vereinigten Staaten sind die wichtigsten Verbündeten der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland.