Euro 2020: Hymnen-Singen bei Xhaka als Zugehörigkeits-Geste?
Das Thema um das (Nicht-)Mitsingen der Schweizer Nati-Stars bei der Nationalhymne polarisiert. Weshalb Granit Xhaka stumm bleibt, hat seinen guten Grund.
Das Wichtigste in Kürze
- Heute um 21 Uhr spielt die Schweiz an der EM in Rom gegen Italien.
- Ausgerechnet Kapitän Granit Xhaka bleibt beim «Schweizerpsalm» jeweils stumm.
- Nau.ch-Kolumnistin Shqipe Sylejmani über die Hintergründe.
«Trittst im Morgenrot daher, seh’ ich dich im Strahlenmeer»: Unser Schweizer Psalm sorgt gerade in Zeiten der Euro 2020 wieder für Furore. Denn: ein grosser Teil unserer Fussballer enthält sich bei diesen Zeilen jeweils. Gerade bei Captain Granit Xhaka wird die Frage des Singens heiss diskutiert.
Als letztes Jahr die Schweizer Fussballnationalmannschaft mit «IMAGINE» für die «STAYHOME»-Kampagne ihre Gesangskünste präsentierte, sah man das, was sich viele Fussballfans in der Schweiz schon lange wünschen: eine singende Nati. Zur Euro 2020 wird wieder ein besonderes Augenmerk auf das Singen der Nationalhymne und die wichtigen Minuten vor dem Spiel gelegt.
Schauen wir kurz in die Geschichte der Schweiz, wird sichtbar, dass dieses Enthalten eine lange Tradition hat: Ob 1981 als Andy Egli, Lucien Favre und Gianpietro Zappa zur Stammelf gehörten, oder 1990 mit Thomas Bickel, Kubilay Türkyilmaz und Stefan Huber: die Fussballer schwiegen schon damals meist verhalten zu den Klängen des Schweizer Psalms.
Doppelmoral oder erwartete Geste?
Dass die Spieler möglicherweise in diesen Momenten lieber in sich gekehrt sind, beten oder sich sammeln steht dabei im Hintergrund. Es scheint, als würde ein Geste der Zugehörigkeit erwartet werden, vor allem bei den Spielern, die ursprünglich einen Migrationshintergrund haben. Besonders bei Granit Xhaka scheint dieser Anspruch allgegenwertig, da er mit gutem Beispiel vorangehen solle.
Solange die Nationalmannschaft auf Hochtouren spielt, sind die Vorwürfe genauso zurückhaltend wie die Ausrufe nach einer «echten Schweizer Nati». Doch kaum gerät die Leistung ins Schwanken, wird an der Integrität der Spieler gezweifelt und diese in Frage gestellt.
Gern hätte ich einen dieser Spieler gefragt wie ernüchternd dieses Wechselbad der Gefühle ist, besonders da man sich mehrmals und explizit zu der Schweiz bekannt hat.
Auch innerhalb der Nationalmannschaft können solche Themen nur schaden. Dabei sehen wir hier eine der besten und effizientesten Mannschaften, die die Schweiz je hatte. Ein Team, das voller Tatendrang, fokussiert und angriffslustig ist, zusammenhält und vor allem eins ist: vereint.
Eine Liebe über die Landesgrenzen hinaus
Als Schweizerin mit Wurzeln im Kosovo weiss ich, wie das Leben mit zwei Kulturen, die in ein Herz passen sollen, ist. Besonders für einen Spieler wie Granit Xhaka: sein Vater war bekennender Patriot im Kosovo, sein Bruder Taulant Xhaka läuft für die albanische Nationalmannschaft auf.
Granit Xhakas Entschluss, für die Schweizer Nationalmannschaft zu spielen, entsprang dabei tiefer Achtung und Dankbarkeit für unsere Schweiz. Heute als Captain die Mannschaft anzuführen, wird für ihn eine grosse Ehre sein, die er würdevoll trägt.
Diese Verantwortung erfüllt selbst die Menschen in seinem Herkunftsland voller Stolz: kaum ein Land wird im Kosovo so gefeiert und geliebt wie die Schweiz. Es entstand eine tiefe Verbundenheit der beiden Länder, wahrscheinlich fast so brüderlich wie die Geschwister Taulant und Granit selbst.
Politischer Sport
Das Singen der Nationalhymne interpretiere ich darum auch nicht als Symbol der Zugehörigkeit. Denn jeden Morgen singen SoldatInnen (mit und ohne Migrationshintergrund) in der Rekrutenschule den Schweizer Psalm aus voller Brust, ohne jegliche Identitätskrisen hervorzurufen.
Deswegen ruft es in mir eher die Frage hervor, ob der als «absolutes Liebesbekenntniss» gesehene Akt nicht einfach eher politischen Zwecken dient als sportlichen.
Ich würde es übrigens genauso gern sehen, dass unsere Schweizer Elf das Publikum vor Ort, die Fans Zuhause und ihre Gäste mit dem 1841 geschriebenen Lied zum Spiel begrüsst – als Willkommen Heissen oder als Zeichen der Einigkeit.
Doch was mir mehr bedeutet, als dass die Spieler mit ihrer Stimme glänzen, ist, dass sie mit dem Herzen dabei sind. Mit dem Kopf, mit dem Geist und all ihren Kräften. Und darauf hoffe ich, heute im wichtigen Spiel gegen Italien.
In diesem Sinne: HOPP SCHWIZ!
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Shqipe Sylejmani ist neu als Kolumnistin bei Nau.ch tätig, wo sie über das Leben in zwei Welten schreibt. Die in Prishtina geborene Journalistin und Kommunikationsberaterin veröffentlichte im Oktober 2020 ihren ersten Roman «Bürde & Segen».