Ferrari: So geht es nach der offenen Kritik mit Vettel weiter
Während des 70th-Anniversary-GP in Silverstone übt Sebastian Vettel am Funk heftige Kritik an Ferrari. Der Frust des Deutschen wächst mit jedem Rennwochenende.
Das Wichtigste in Kürze
- Sebastian Vettel übte während des Silverstone-GP heftige Kritik an seinem Team.
- Teamchef Mattia Binotto konterte prompt – Vettel habe sein Rennen selbst ruiniert.
- Zwischen Fahrer und Team hat sich in der Formkrise ein tiefer Graben aufgetan.
Der Frust von Sebastian Vettel während des 70th-Anniversary-GP in Silverstone war am Boxenfunk deutlich zu hören. «Wir sind genau in der Lücke, in der wir nicht sein wollten. Wir haben heute Morgen darüber gesprochen», schimpfte der vierfache Weltmeister an seine Ferrari-Mannschaft gerichtet. «Ich halte durch, aber ihr wisst, dass ihr das vermasselt habt.»
Es sind ungewohnt harte Worte vom sonst so zurückhaltenden Deutschen. Vettel macht klar – er fühlt sich von Ferrari im Stich gelassen. Von Teamchef Mattia Binotto kam prompt die Retourkutsche, Vettel habe sein Rennen mit seinem Dreher selbst ruiniert. Es wird deutlich: Zwischen Team und Fahrer verläuft ein tiefer Graben.
Leclercs Leistungen steigern Druck auf Vettel
Die Ausgangslage war schon zum Saisonstart schwierig – das Auto ist eine Fehlkonstruktion, der WM-Titel kein Thema. Selbst Rennsiege sind in der aktuellen Verfassung wohl bestenfalls Wunschdenken. Und die starken Leistungen von Teamkollege Charles Leclerc erhöhen den Druck auf Sebastian Vettel zusätzlich.
Dass es nicht am Deutschen allein liegt, zeigt der ausgelassene Jubel von Leclerc über Platz vier am Sonntag. Der 22-Jährige zelebrierte das verpasste Podest am Boxenfunk wie einen Rennsieg. Auch der Monegasse weiss: Aktuell ist der Ferrari eigentlich bestenfalls das viertbeste Auto im Feld. Einzig die riskante Ein-Stopp-Strategie spülte den jungen Ferrari-Star in Silverstone zwischenzeitlich in die Podestplätze.
Der 70th-Anniversary-GP hat unterstrichen, dass die Saison 2020 für die Kombination Vettel-Ferrari wenig erfolgreich verlaufen wird. In Italien mehren sich die Forderungen, den 53-fachen Grand-Prix-Sieger von seinem Unglück zu erlösen. Sein Nachfolger Carlos Sainz wird von seinem aktuellen Team McLaren aber nur schwer loszueisen sein. Wen also in das Cockpit des Deutschen setzen, bis die Saison vorbei ist?
Wer soll Vettel bei Ferrari vertreten?
Die einfachste Lösung wäre Antonio Giovinazzi. Der Italiener gehört dem erweiterten Ferrari-Fahrerkader an und zeigt bei Alfa-Sauber beachtliche Leistungen. Im Qualifying-Duell liegt er gegen Ex-Weltmeister Kimi Räikkönen mit 4:1 voran. Und er verfügt über Erfahrung in der aktuellen Auto-Generation.
Zudem liesse sich der Italiener bei Alfa-Sauber leicht durch einen der Ferrari-Junioren ersetzen. Robert Shwartzman und Callum Ilott zeigen sich in der Formel 2 derzeit in bestechender Form. Der Russe hätte sogar genug Punkte für eine Formel-1-Superlizenz auf dem Konto. Ilott müsste zunächst einen 300-Kilometer-Test – eine Renndistanz – abspulen, um sich zu qualifizieren.
Die Alternative, die sich am vergangenen Wochenende aufdrängte, heisst Nico Hülkenberg. Der Deutsche zeigte bei seinem Comeback-Rennen eine bestechende Leistung. Im Qualifying sicherte er sich sensationell Platz drei, im Rennen lag er lange vor Stammfahrer Lance Stroll.
Eine weitere Option wäre Pascal Wehrlein, der bei Ferrari als Simulator-Pilot unter Vertrag steht. Der Deutsche war 2017 noch Stammfahrer in der Königsklasse und wäre für eine Superlizenz qualifiziert. Seinen Formel-E-Vertrag bei Mahindra löste Wehrlein kürzlich auf, verfügbar wäre der Ex-DTM-Champion also.
Zieht Ferrari die Reissleine – oder Vettel?
Trennt sich Ferrari wirklich vorzeitig von Sebastian Vettel? Zuzutrauen wäre es der Scuderia, denn die aktuelle Situation ist für alle Seiten eine Katastrophe. Vettel holte in den fünf Rennen bisher gerade einmal magere zehn Pünktchen. Zum Vergleich: Leclerc ist mit 45 Zählern aktuell WM-Vierter – aber schon 62 Punkte hinter Lewis Hamilton.
Der vierfache Weltmeister und Ferrari haben die Geduld miteinander und das Vertrauen ineinander verloren. Es wäre keine Überraschung, wenn eine der beiden Parteien vorzeitig die Reissleine ziehen würde. Der Spanien-GP am Wochenende kommt dafür wohl auch in Sachen Vorlaufzeit noch zu früh. Aber danach folgt eine zweiwöchige Pause vor dem Belgien-GP – Zeit genug, einen neuen Piloten einzuarbeiten?