Neue Wohnformen: So wohnt die Schweiz morgen

Die klassische Dreizimmerwohnung oder das Häuschen im Grünen haben ausgedient. Jetzt kommen zuschaltbare Zimmer, Cluster-Wohngemeinschaften und Schiebetüren für Scheidungspaare. Nau hat mit einer Wohnspezialistin der ETH gesprochen.

Modernes Wohnen in Zürich West. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Immer mehr Familien wollen auch mit kleinen Kindern in die Stadt ziehen, weil die Wege zu allem kürzer sind.
  • Das Häuschen im Grünen und die Drei-Zimmer-Wohnung haben ausgedient.
  • An ihre Stelle treten neue Wohnformen wie das Cluster-Wohnen oder zumietbare Einzelzimmer.
  • «Gewohnt wird immer individueller und unterschiedlicher», erklärt die ETH-Wohnspezialistin.

Ein Häuschen im Grünen. Eines mit Gartenzaun und Garagenplatz – davon träumte die Schweiz einst. Und jetzt? Marie Glaser, Leiterin des ETH-Wohnforums, macht einen neuen Trend aus: «Die Leute wollen zurück in die Stadt. Nicht nur die Jungen, auch Familien und ältere Menschen.»

Warum? «In der Stadt ist alles näher beieinander: Einkaufen, Ausgehen, Spielen, Schule, Arbeit, Wohnen – das meiste ist zu Fuss erreichbar. Auch im Alter», so Glaser. Die kurzen Wege seien vielen heute mehr wert, als ein Eigentumshaus mit Umschwung.

Das Häuschen im Grünen hat immer mehr ausgedient. - Pixabay

Die Städte locken

Noch wohnt zwar ein Drittel aller Familien in einem Einfamilienhaus ausserhalb der Stadt. Doch die Städte selber arbeiten daran, dies zu ändern: In den Quartieren wird der Verkehr beruhigt, Spielplätze und Erholungsräume geschaffen oder umgebaut, Kinderkrippen schiessen zwar nicht gerade wie Pilze aus dem Boden, aber ihre Zahl nimmt zu.

Weil immer mehr Familien in der Stadt bleiben wollen, platzen die Schulen aus allen Nähten. - Keystone

Dass die Städte damit Erfolg haben, zeigt der Platzmangel in diversen städtischen Schulhäusern: «Auch in Quartieren ohne namhafte Neubautätigkeit gehen deutlich mehr Kinder zur Schule», bestätigt Jörg Moor, stellvertretender Schulamt-Leiter, gegenüber Nau. In Bern trägt dieser Platzmangel teilweise kuriose Blüten.

Zusammen Wohnen

In Zürich wohnt in jeder zweiten Wohnung nur eine Person, weiss Glaser. Statistiken gehen davon aus, dass immer mehr Wohnraum benötigt wird, obwohl die Bevölkerung nicht im gleichen Masse wächst. Die Preise werden steigen. «Das macht gemeinschaftliches Wohnen wieder interessanter», so Glaser.

Ein kleines Dorf als Wohngemeinschaft? Weil für neue Bedürfnisse nicht immer auch neu gebaut werden kann, müssen alte Gebäude umgenutzt werden (Symbolbild). - Pixabay

Gemeint seien keine WG’s, in denen sich erwachsene Menschen eine Küche und ein Bad teilen, «das ist ein Relikt der Siebziger und heute eher eine Option für junge Menschen und Studierende.»

Cluster-Wohnen

Spricht Glaser von gemeinsamem Wohnen, meint sie unter anderem das sogenannte Cluster-Wohnen: «Die Idee dabei ist, dass alle Bewohner eine eigene private Einheit (mit ein bis zwei Zimmer) bewohnt und sich mit den anderen Parteien Gemeinschaftsräume wie Küche, Ess- und Wohnzimmer teilt.»

Manche richten sich auch ein gemeinsames Fitnessstudio, Büro oder Kinderspielzimmer ein. «Schlaf- und Badezimmer nutzt dann aber jeder für sich.»

Aktuell wird in vielen Mehrfamilienhäusern nur die Waschküche geteilt. Beim Cluster-Wohnen hingegen werden auch Küche oder Wohnzimmer gemeinsam genutzt. - Keystone

So können einerseits die Kosten tiefer gehalten werden, andererseits rückt die Nachbarschaft näher zusammen. «Das ist besonders für Singles und ältere Menschen spannend.»

Wohnen wie im Lego-Haus

Für Familien sei eher die Option interessant, temporär zusätzliche Zimmer zur eigentlichen Wohnung hinzu mieten zu können. «Immer öfter werden in Wohnhäusern einzelne Zimmer eingefügt, die man zu seiner Wohnung hinzumieten kann. Etwa, wenn die Eltern ein Büro brauchen oder ein weiteres Kinderzimmer nötig ist», erklärt Glaser.

Oft gebe es in diesen neuen Siedlungen auch die Möglichkeit, ein solches Einzelzimmer als Gästezimmer für sehr kurze Zeit hinzu zu mieten.

Die klassische WG bleibe den Studenten vorbehalten, so die ETH-Spezialistin. Luxuriösere Wohngemeinschaften hätten aber durchaus Zukunft. - Pixabay

Schiebetüren für Scheidungspaare

Wie die Wohn-, verändern sich auch die Lebensformen. Die Scheidungskurve ist zwar nicht mehr so steil, wie auch schon, aber noch immer hoch. «Da fragt man sich: Müssen nach einer Scheidung beide Eltern je in einer 4.5-Zimmer-Wohnung leben? Oder gibt es andere Lösungen?»

Eine solche Lösung hat Glaser bereits kennengelernt: «Architekten aus Frankreich haben Wohnungen mit Schiebetüren entworfen». Diese könne jeweils das Elternteil, dass sich gerade nicht um die Kinder kümmert, zuschieben.

Dadurch entsteht eine separate kleine Wohnung. Wird die Tür wieder aufgeschoben, ist die kleine Mutter- oder Vaterwohnung wieder mit dem Gemeinschaftsteil der Kinder verbunden. Ein Modell, das nur bedingt funktioniere, so Glaser, denn die soziale Kontrolle bleibe allzu hoch.

Wohnen im Alter

Auch im Alter wird Wohnen individueller. Pflegeheime sind erst bei fortgeschrittenem Pflegebedarf eine Option, «und auch alte Menschen wollen nicht in Siedlungen am Rande der Gesellschaft wohnen». Glaser geht darum davon aus, dass gemischtes Wohnen immer mehr stattfinden wird.

Das klassische Alters- und Pflegeheim wird immer später eine Option. Auch Senioren wollen individuell leben und nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. - Keystone

«Wer selber baut, kalkuliert das Alter zudem oft mit und baut eine Einliegerwohnung ein. Die kann vermietet werden und bei Bedarf dann einer Pflegeperson zur Verfügung gestellt werden», erklärt Glaser. Sie empfiehlt zudem, sich bereits mit 65 oder früher Gedanken über das Wohnen im Alter zu machen: «Dann, wenn man noch problemlos die Kisten packen und sich eine optimale Wohnform suchen kann.»

In der Zürcher Kalkbreite soll kunterbunt gewohnt werden, von Cluster-Wohnen über zumietbare Zimmer und Wohngemeinschaften ist alles zu haben. Auch ein Blumenautomat. - keystone

Weniger Drei-Zimmer, mehr Flexibilität

Glasers Fazit: «Gewohnt wird immer individueller, kurzfristiger und unterschiedlicher.» Wichtig sei, dass Investoren, Bauherren und Architekten die Wohnbedürfnisse der verschiedenen Zielgruppen kennen und auf sie eingehen, und dann am jeweiligen Ort das sinnvollste Wohnangebot zu realisieren.
«Dann werden nämlich auch nicht mehr so viele Dreizimmerwohnungen gebaut, die für Familien zu klein und für Singles zu gross sind und dadurch immer öfter leer stehen.»