Dorfleben: So schlimm ist das Dorfsterben wirklich
Lange Zeit war in der Schweiz von der Landflucht und dem dramatischen Sterben der Dörfer die Rede. Doch dann kam die Umkehr für das Dorfleben.
Das Wichtigste in Kürze
- Statt Landflucht ist heute oft von Stadtflucht die Rede.
- Allerdings nimmt die Identifikation mit den Dörfern immer mehr ab.
Vor allem in den 1980er- und 1990er-Jahren war die Schweiz von der Landflucht geprägt. Vor allem junge Menschen zog es in Scharen aus den kleinen Dörfern in die grossen Städte. Sie boten bessere Arbeitsplätze und ein vielfältiges gesellschaftliches Leben.
Anschliessend verlangsamte sich die Landflucht etwas, doch sie hörte nicht auf. Vor allem die kleineren Bergdörfer sind betroffen, denn hier setzte schnell ein Teufelskreis ein: Junge Menschen verliessen die Dörfer aufgrund der mangelnden Angebote.
Durch die schrumpfende Bevölkerung wurden diese Angebote dann noch weiter heruntergeschraubt, weil sie sich nicht mehr lohnten. Am Ende dieser Entwicklung stehen dann Geisterdörfer. In den Geisterdörfern wohnen dann gar keine Menschen mehr oder nur noch einige wenige Senioren. Das Dorfleben wirkt wie ausgestorben.
Dörfer werben mit Aktionen um Neubürger
Nicht alle Dörfer wollen sich kampflos dem Untergang hingeben. Als Corippo im Tessin nur noch zwölf Einwohner zählte, wurde geplant, das ganze Dorf in eine «verstreute Unterkunft» zu verwandeln. So sollte eine Art Feriendorf mit Betten in den alten Häusern entstehen.
Andere Dörfer setzen statt auf Tourismus auf die aktive Anwerbung neuer Bewohner. Cavajone, ein ehemaliges Schmugglernest in Graubünden, gründete eine Stiftung, um die Zahl von nur noch zehn Einwohnern aufzustocken.
Die Stiftung soll es jungen Menschen ermöglichen, sich eine neue ländliche Existenz aufzubauen. Auch wenn sich unter den Bewerbungen kaum Brauchbare befanden, reichte es doch, zumindest einige Neubürger anzulocken.
Noch erfolgreicher war Binn im Wallis. Hier inserierte man einfach per Zeitungsannonce. Gesucht wurden vor allem Familien mit Kindern, die eine Schliessung der örtlichen Schule verhindern sollten. Der Plan ging auf: Heute besuchen wieder elf Kinder die Schule.
Digitalisierung verstärkt die Stadtflucht
Mit der Corona-Pandemie setzte ein regelrechter Run aufs Land ein. Da in der Stadt alles zugesperrt war, sehnten sich die Menschen auf einmal nach dem Dorfleben. Viel Grün im eigenen Garten, Wanderwegen und mehr.
Viele Städter sind seitdem in die Grossstädte und Agglomerationen zurückgekehrt, doch für andere blieb die Stadtflucht dauerhaft. Dank Digitalisierung und Homeoffice können sie den Traum vom Dorfleben im Grünen dauerhaft leben.
Dorfleben: Identifikation mit dem Dorf sinkt
Sind damit das Dorfsterben und die Landflucht beendet? Beide können zumindest verlangsamt werden. Allerdings ist es mit dem Zuzug der Städter in die Dörfer nicht getan. So beklagen viele Alteingesessene, dass den Neubürgern die Identifikation mit dem Dorf fehlt.
Statt sich am Abend in der Gemeindepolitik zu engagieren, bleiben die neuen Einwohner lieber in ihren Häusern und entspannen. Identifizierte sich 2012 noch die Hälfte der Einwohner mit ihrer Gemeinde, war es 2017 nur noch ein Viertel. Dies dürften auch die neuen Zuzügler in die Dörfer nicht ändern.
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