Tongariro Alpine Crossing: Neuseelands Traumwanderweg
Der Tongariro Alpine Crossing in Neuseeland gilt als eine der weltweit schönsten Trekking-Touren. Unterwegs begegnet man Göttern, Heiligen und manchem Teufel.
Das Wichtigste in Kürze
- Der erste Nationalpark Neuseelands besteht seit 1887.
- Seine Hauptattraktion: das Tongariro-Vulkanplateau mit drei aktiven Vulkanen.
- Vulkane, Berge, Seen sind bis heute Heilige Stätten der Ureinwohner Maori.
- Wander-Fitte erkunden das Gebiet auf 20 Kilometern und bewältigen dabei 1200 Höhenmeter.
Joe Easley nimmt es ernst mit seinen Pflichten als Guide. Auf dem Mangatepopo-Parkplatz schart er die kleine Gruppe von Wanderern um sich, die mit ihm das Tongariro Vulkanplateau überqueren wollen.
«Sollte es unterwegs knallen, schaut bitte zuerst in der Luft nach Gesteinsbrocken, die auf euch zufliegen könnten», warnt er. «Ergiesst sich dann ein Lavafluss ins Tal, bietet der gegenüberliegende Berg Rettung.» Das klingt sehr dramatisch.
Als die aus unterschiedlichsten Ländern bunt zusammengesetzte Gruppe ihn fragend ansieht, setzt er ein Lächeln auf: «Nun ja, eine Eruption ist höchst unwahrscheinlich, aber statistisch längst überfällig. Wir sind schliesslich im aktivsten Vulkangebiet Neuseelands unterwegs.»
Noch bevor er die Lunchpakete und Wanderstöcke verteilt, folgt ein kurzer Exkurs in die Geschichte des seit 1887 bestehenden ersten Nationalparks Neuseelands.
Die Götter mussten helfen
Eine Legende der Maori rund um den Tongariro-Vulkan in der Mitte von Neuseelands Nordinsel reicht bis in das 14. Jahrhundert zurück. Einer ihrer Priester wurde damals bei der Besteigung der Vulkanberge von einem Schneesturm überrascht.
Um nicht zu erfrieren, rief er der Legende zufolge die Götter seiner Urheimat «Hawaiki» zur Hilfe.
Die erhörten sein Flehen und schickten ihm Feuerdämonen, die ihn vor dem sicheren Tod retteten und zugleich die vulkanischen Urgewalten in der gesamten Region entfesselten, erzählt die Sage.
Seither gehören die Berge und Seen rund um den Mount Tongariro zu den heiligen Stätten der Maori.
Wenig Strecke, viele Höhenmeter
Die drei aktiven Vulkane Tongariro (1968 Meter), Ngauruhoe (2291 Meter) und der mit 2797 Meter höchste Vulkan des Landes, der Ruapehu, liegen auf einem Hochplateau beieinander.
Mit knapp 20 Kilometern mag die Tour nicht lang wirken. Doch das Höhenprofil ist herausfordernd: Knapp 1200 Höhenmeter gilt es zu bewältigen. Ein «hohes Fitnesslevel» empfiehlt die offizielle Website des Alpinwanderwegs. Sieben bis acht Stunden ist man unterwegs.
Auf der Teufelstreppe geben die ersten auf
Die ersten 90 Minuten der Tour sind noch recht locker: Vom Startpunkt am Ende der Mangatepopo Road bis zu den «Soda Springs» führen Holzstege über lange Strecken durch alpine Feuchtwiesen.
Hinter den «Soda Springs» verlässt der Weg das von eiszeitlichen Gletschern geschliffene Mangatepopo-Tal. Es wird steiler. Auf der «Devil`s Staircase», der Teufelstreppe, schraubt sich der Pfad zum Südkrater («South Crater») hinauf.
Den Ersten wird es zu viel: Zwei chinesische Wanderer und ein australisches Paar kehren nach den ersten Absätzen um und verpassen das Naturschauspiel auf dem Plateau des Kraters.
Dichte Nebelschwaden ziehen über die mit Bimsstein übersäte Mondlandschaft. Ab und zu tauchen schemenhaft Wanderer auf. Man fühlt sich wie in einer irrealen, verzauberten Welt.
Nach Erklimmen des Caldera-Randes folgt ein Terrain, das an die Formung der Erdkruste vor Urzeiten erinnert: Pechschwarze Lavafelder auf der einen und der nahezu perfekt geformte Vulkankegel des Ngauruhoe auf der anderen Seite.
Der Schicksalsberg von Herr der Ringe
Regisseur Peter Jackson konnte sich kaum eine bessere Szenerie wünschen, als er Locations für seine Verfilmung der «Der Herr der Ringe»-Trilogie suchte.
Aus den Lavafeldern rund um die aufragenden Vulkane wurde Mordor, das dunkle Reich des Bösewichts Sauron, während Mount Ngauruhoe die Vorlage für den Feuerberg Mount Doom lieferte, in dessen Kammern der Ring von Sauron Hobbit Frodo versenkt wurde.
Während sich der Vulkan in Tolkiens Geschichte nach den Befehlen Saurons richtet und zum Ende des «Dritten Zeitalters» zerstörerisch ausbricht, zeigt sich der imaginäre Schicksalsberg heute von seiner friedlichen Seite, wenn sich die ihn umgebenden Wolkengardinen von Zeit zu Zeit zur Seite schieben.
Seit der letzten Eruption im Jahr 1977 hat sich der feuerspeiende Berg eine Ruhepause verordnet.
Auch der Mount Tongariro scheint in tiefem Schlaf zu liegen. «Das kann sich schnell ändern», sagt Tourguide Joe und berichtet von der letzten kleineren Eruption des Berges im Jahr 2012. Die dauerte zwar nur Minuten. Das reichte aber, um das Dach der Ketetahi-Schutzhütte mit Gesteinsbrocken zu zertrümmern.
Hinauf zum roten Krater
Ein kurzer steiler Grat führt zur höchsten Stelle der Wanderung am «Red Crater» auf fast 1900 Meter Höhe. In tiefstem Rubinrot ragt eine breite Schlundöffnung aus dem Kessel, durch die einst die Lavamassen hinaus geschleudert wurden.
Es riecht nach Schwefel. Im Hintergrund sieht man aus dem Oturere-Tal Dampfschwaden aufsteigen.
Auf rutschigem Geröll beginnt nun der steile Abstieg. Immer wieder hält man dabei unweigerlich inne - wegen der Ausblicke auf die unten liegenden «Emerald Lakes» (Smaragdseen), auf die Vulkane und Täler bis hin zum «Blue Lake», dem Blauen See.
Besucherandrang verärgert Maori
Unten angelangt, ist am Ufer des Sees eine Mittagspause angesagt. Dutzende Wanderer nutzen das Panorama für eine Rast und lassen sich auch nicht durch den Schwefelgeruch verdrängen, der aus Quellen und Spalten entweicht.
An sonnigen Tagen kommt es vor, dass Tausende im Park unterwegs sind – vor allem auch viele Neuseeländer, die wegen der Pandemie lieber daheim urlauben.
Herr-der-Ringe-Fans buchen Spezialtouren, die zu allen Filmschauplätzen im Nationalpark führen. Die Popularität der Filmtrilogie hatte zu einem deutlichen Anstieg der Besucherzahlen geführt.
Das wird vor allem von den Maori kritisch betrachtet, deren heilige Stätten der einst erhabenen Ruhe beraubt werden. Es wurde schon über eine Begrenzung des Zugangs nachgedacht.
Tourguide Joe wirkt sichtlich verärgert, als er am Ufer des «Blue Lake» eine Wandergruppe sichtet, die dort ihre Pausensnacks verzehrt. Ein völlig respektloses Verhalten an einem See, der für die Maori absolut «tapu» (heilig) ist.
Als wären auch die Götter erzürnt, hüllen bald dichte Wolken die Wandernden ein. Bei gutem Wetter wären von hier oben Ausblicke auf die Bergwelt des Nationalparks möglich, doch ein undurchdringliches Grau versperrt jetzt jede Sicht.