Hat Joe Biden den Wahlkampf nach Desaster-Auftritt schon verloren?

Der Auftritt ist Joe Biden im ersten TV-Duell gegen Donald Trump gründlich missglückt. Sollte er nun von sich aus den Hut nehmen? Experten ordnen ein.

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X / @kirawontmiss - Joe Biden hatte während der Debatte immer wieder Mühe damit, sich auszudrücken.

Das Wichtigste in Kürze

  • US-Präsident Joe Biden wirkte im ersten TV-Duell gegen Donald Trump verloren.
  • Selbst Demokraten zweifeln, ob Biden noch der richtige Präsidentschaftskandidat ist.
  • Laut USA-Experten könnte ein Rücktritt für die Demokraten zum Eigentor werden.

Das erste TV-Duell gegen Donald Trump wurde für US-Präsident Joe Biden und die Demokraten zu einem regelrechten Debakel. US- und internationale Medien zerreissen den 81-Jährigen, der sich am Donnerstagabend (Ortszeit) immer wieder verhaspelte, unsicher und müde wirkte.

«Stolper Auftritt von Biden – Good Night Joe!», titelt etwa die deutsche «Bild» nach der «New York Post». Die britische «Daily Mail» spricht von einem «desaströsen Auftritt». «Bidens schwache Vorstellung», heisst es beim US-Fernsehsender CNN, der die Debatte ausstrahlte.

Auch innerhalb der Demokratischen Partei werden Zweifel lauter, ob Joe Biden noch der richtige Kandidat für die Präsidentschaftswahlen sei. US-Medien zitierten nicht namentlich genannte Funktionäre, die sich nach der Darbietung besorgt geäussert hätten.

Bei den Demokraten steigt die Angst, mit Biden als Kandidat drohe ihnen bei der Wahl im November eine vernichtende Niederlage. Denn Donald Trump schlachtet jeden noch so kleinen Fehltritt seines Kontrahenten gnadenlos für seinen Wahlkampf aus. Und schon vor dem TV-Duell lag der Republikaner in den Umfragen vorne.

Eigentlich seien Bidens Umfragewerte aber zuletzt wieder im Aufwind gewesen. Dies sagt USA-Experte Thomas Greven von der Freien Universität Berlin gegenüber Nau.ch. «Nun werden die Zweifel bezüglich seines Alters wieder stärker.»

USA-Experte Thomas Greven schätzt den TV-Auftritt von Joe Biden ein. - Freie Universität Berlin

Autor und Politikwissenschaftler Tobias Endler entkräftet die Wirkung von Bidens Auftritt etwas: «Die wenigsten Amerikanerinnen und Amerikaner ändern ihre Meinung anhand eines TV-Duells», sagt er auf Anfrage.

«Allerdings überlegt sich bei den Demokraten eine zweistellige Zahl der Anhänger, tatsächlich von Biden abzurücken. Dies kann in einigen Bundesstaaten schon den Unterschied machen.»

Die Demokraten hätten sich übel verzockt: «Sie wollten ja unbedingt das frühe Duell, um ein Zeichen zu setzen und Biden Vitalität und Kampfeslust zu betonen. Das ging nach hinten los», sagt Endler.

USA-Experte: «Debatten lassen sich nicht mehr mit Fakten gewinnen»

Beide Experten glauben nicht, dass Joe Biden den Wahlkampf nun schon verloren hat. «Er hat aber einen deutlichen Rückschlag erlitten», sagt Thomas Greven. «Zwar zeigt eine nüchterne Analyse der Debatte, dass seine Aussagen einen hohen Faktizitätsgehalt hatten. Doch mit Fakten lassen sich solche Debatten heute nicht mehr gewinnen.»

Trump habe sich auf Lügen, Angeberei und Angriffe verlegt, so Greven. «Allerdings wirkte er dabei deutlich wacher, agiler und das bestimmt die Wahrnehmung.»

Tobias Endler sieht mit Blick auf die Geschichte noch Hoffnung für Joe Biden: «Er hat noch eine zweite Chance in einem TV-Duell – im September. Auch Barack Obama hatte im ersten Duell vor seiner Wiederwahl keinen Glanzauftritt und am Ende doch gewonnen.»

Ein Rücktritt Joe Bidens könnte die Demokraten noch weiter schwächen, vermutet Thomas Greven. «Ein Verzicht auf die Kandidatur würde mutmasslich zunächst eine intensive Auseinandersetzung innerhalb der Partei bedeuten», sagt er.

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Der Experte äussert auch Zweifel, ob die Wahlchancen der Demokraten mit einer anderen Kandidatur besser wären: «Eine Niederlage droht in jedem Fall. Zum einen, weil das amerikanische Wahlsystem die Republikaner massiv begünstigt.»

Zum anderen sei in vielen Staaten die ordnungsgemässe Durchführung der Wahl nicht garantiert, befürchtet Greven. «Es sitzen viele Trumpisten an den Hebeln – die Wahlbeteiligung von Minderheitenwählenden wird administrativ unterdrückt.»

Auch Tobias Endler glaubt nicht an einen Rücktritt von Joe Biden. «Es käme für die Demokraten einer Bankrotterklärung gleich und wäre ein Novum in der US-Geschichte.»

Demokraten fehlt es an Alternativen zu Joe Biden

Thomas Greven sieht auch nicht, wen die Demokraten anstelle von Joe Biden ins Rennen schicken könnten. «Immer wieder werden Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien, und Gretchen Whitmer, Gouverneurin von Michigan, genannt. Beide haben aber signalisiert, dass sie nicht zur Verfügung stehen und Biden unterstützen.»

Die offensichtlichste Kandidatin sei Kamala Harris. «Sie hat als Vizepräsidentin aber ebenfalls bereits ihre Unterstützung für Biden signalisiert.»

«Kamala Harris sollte gar nicht», findet Tobias Endler. «Sie ist noch unbeliebter als Joe Biden!» Die Ehefrau von Ex-Präsident Barack Obama, Michelle Obama, würde laut Endler in den Umfragen gegen Trump gewinnen. Sie wolle aber nicht, so Endler.