Hans-Joachim Flebbe: «Kino hat keine richtige Lobby»

Die mehr als 700 Kinos in Deutschland locken jährlich rund 120 Millionen Besucher an. Doch in der Corona-Pandemie müssen die Leinwände monatelang dunkel bleiben. Kino-Pionier Hans-Joachim Flebbe sieht seine Branche als Bauernopfer.

Hans-Joachim Flebbe hofft, dass die Kinos im Dezember wieder öffnen dürfen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Hans-Joachim Flebbe, Gründer der Cinemaxx-Kette und inzwischen Betreiber von Premium-Kinos, sieht die Kinounternehmer vom Staat allein gelassen.

Je länger der Lockdown dauere, desto grösser werde zudem die Gefahr, dass Produzenten Filme nur noch in Streamingdiensten veröffentlichen, sagte der 69-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Ihre zehn Kinos waren monatelang geschlossen, dann durften sie unter Auflagen öffnen. Seit Anfang November bleiben gezwungenermassen wieder alle Leinwände dunkel. Können Sie noch ruhig schlafen?

Antwort: In der Summe haben meine Kinos bisher rund acht Millionen Euro Verlust gemacht. Mir helfen das Kurzarbeitergeld und KfW-Kredite, die ich irgendwann zurückzahlen muss. Mir bereitet schlaflose Nächte, dass ich vom Staat aus dem «Wumms-Paket» bisher nur rund 48.000 Euro bekommen habe. Die unzureichenden Hilfen machen den Mittelstand wütend, auch in anderen Branchen. Wir Kino-Betreiber haben vor der Krise profitabel gearbeitet. Wir erwarten, dass der Staat unsere unschuldig erlittenen Verluste zumindest teilweise entschädigt.

Frage: Wird die Corona-Pandemie die vielfältige Kino-Landschaft in Deutschland zerstören?

Antwort: Es wird sicherlich nicht wieder so werden, wie es vor der Pandemie war. Es werden nicht alle überleben. Eine entscheidende Frage ist: Dürfen wir am 15. Dezember wieder spielen? November und Dezember sind die besucherstärksten Monate. Langfristig nehmen wir Schaden, weil die Menschen sich an Netflix und Amazon gewöhnen und Abos abschliessen. Filmproduzenten veröffentlichen im Streamingdienst, «Mulan» und «Soul» sind dafür Beispiele. Je länger die Lockdown-Phase dauert, desto mehr steht unser Geschäftsmodell unter Druck.

Frage: Schauen Sie jetzt notgedrungen auch Netflix?

Antwort: Ich habe bewusst keinen Streamingdienst abonniert, ich kaufe auch nicht im Internet ein. Meine Familie ist bei Netflix und Amazon aktiv, obwohl ich darüber schimpfe.

Frage: Ihre Karriere begann als Kartenabreisser im Apollo in Hannover, seit Jahrzehnten betreiben Sie Filmtheater. Was machen Sie gegen den Kino-Entzug?

Antwort: Selbst meine Kinder sagen, sie vermissen die grosse Leinwand. Ich habe schon im ersten Lockdown ab und zu das Kino in Hamburg nur für meine Familie aufgemacht, als geheime Privatvorstellung. Wir haben zum Beispiel «The Greatest Showman» und «Bohemian Rhapsody» gesehen, lieber hätte ich mir den neuen «James Bond» angeguckt.

Frage: Der neue «James Bond» sollte im Frühjahr in die Kinos kommen, wurde dann auf November und nun abermals auf April 2021 verschoben. Können Ihre Kinos noch so lange durchhalten?

Antwort: Uns hat bisher auch geholfen, dass fast alle Vermieter bereit waren, die Miete in den Lockdown-Monaten zu halbieren. Die Frage wird sein, ob die Filmverleiher uns weiterhin Filme zur Verfügung stellen. Ich hoffe, dass die «James Bond»-Produzenten stark genug bleiben und den Avancen von Netflix & Co. standhalten.

Frage: Der Profi-Fussball läuft, grosse Einkaufszentren sind geöffnet. Warum hat die Politik den Kulturbetrieb stillgelegt?

Antwort: Wir sind nicht systemrelevant. Das Kino hat keine richtige Lobby. Die Politiker haben sich nicht getraut, so kurz vor Weihnachten den Einzelhandel zu schliessen. Ich hätte einen kompletten Lockdown wie in Österreich sinnvoller und effektiver gefunden. Aus meiner Sicht sind Kino, Oper, Theater und Museen ein Bauernopfer. Da hat man draufgehauen, um zu zeigen, dass man was tut, und es hat am Ende nicht den Rückgang gebracht, den man erreichen wollte. Das erstaunt mich überhaupt nicht. Im Gegensatz zum Restaurant ist man im Kino fokussiert auf die Leinwand, guckt nach vorn und redet nicht mit seinem Nachbarn. Das Kino ist sicherer als die U-Bahn oder die Gastronomie.

Zur Person: Hans-Joachim Flebbe (69) ist Gründer der Kinokette Cinemaxx, aus der er 2008 im Streit ausschied. Seitdem konzentriert er sich auf Filmtheater mit bequemen Sitzen und Service am Platz. Standorte sind Berlin, Köln, München, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover und Braunschweig. Flebbe stammt aus Hannover, lebt aber seit 25 Jahren mit seiner Familie in Hamburg.