Autismus bei Kindern erkennen und damit umgehen
Seit einigen Jahren wächst das Bewusstsein für das autistische Spektrum. Eltern sollten eine Diagnose nicht als Bürde, sondern als Gabe begreifen.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine frühe Erkennung von Autismus kann dem Kind viel Leid ersparen.
- Nicht selten werden heute noch Erwachsene über 40 oder 50 diagnostiziert.
- Eltern können frühe Anzeichen von Autismus erkennen.
Bei vielen Menschen beschwört der Begriff Autismus noch immer stereotype Bilder fiktionaler Darstellungen wie im Film «Rain Man» herauf. Doch während das Bild nicht vollkommen falsch ist, ist es doch sehr einseitig.
Autismus ist ein Spektrum mit vielfältigen Formen. Wird diese Störung früh entdeckt, können Eltern entsprechend gut reagieren und ihrem Kind die bestmögliche Förderung zukommen lassen.
Ein breites Spektrum
Bislang wurde Autismus in mehrere Formen unterteilt. Mit Einführung der ICD-11 im kommenden Jahr wird diese Kategorisierung hinfällig. Ab dann ist nur noch von einer allgemeinen Autismus Spektrum Störung (englisch Autism Spectrum Disorder, ASD) die Sprache.
Grund dafür ist die Erkenntnisse, dass sich Autismus nicht klar abgrenzen lässt.
Auch das früher separat behandelte Asperger Syndrom fällt in Zukunft darunter. Dieses Syndrom, das der österreichische Arzt Hans Asperger ab Mitte der 1920er-Jahre aufdeckte, galt bislang als milde Form des Autismus.
Zur gleichen Zeit wie er entdeckte der österreich-amerikanische Psychiater Leo Kanner unabhängig von ihm den frühkindlichen Autismus.
Als dieser wird eine tiefergreifende Beeinträchtigung beschrieben. So geht der Kanner-Autismus meist mit verzögerter Sprachentwicklung einher, während sich Asperger-Autisten gut auszudrücken wissen.
Diese leiden dagegen häufiger unter motorischen Problemen, sind tollpatschig und ungeschickt.
Viele Autisten sind hochintelligent
Typisch für Menschen auf dem autistischen Spektrum ist eine reduzierte soziale Interaktion. Schon als Babys suchen sie weit weniger Kontakt zu ihren Eltern (insbesondere der Mutter) als andere Kinder. Sie vermeiden direkten Blickkontakt und beschäftigen sich lieber mit Gegenständen.
Diese Zurückgezogenheit, oft in Kombination mit Sprach- oder Motorikdefiziten führte früher schnell zur Annahme einer geistigen Behinderung. Dabei sind autistische Kinder oft hochintelligent.
Sie können sich Daten, Namen und Orte sehr gu merken oder kennen halbe Lexika auswendig. Oft wird dann von hochfunktionalem Autismus gesprochen.
Mädchen wurden lange Zeit übersehen
Die frühe Autismusforschung ging ausschliesslich von männlichen Wissenschaftlern aus, die sich nur mit männlichen Patienten beschäftigten. Für Jungen wurden darum schon früh für Autisten typische Verhaltensweisen erkannt, zum Beispiel das akkurate Aufreihen von Spielzeugautos oder das Auswendiglernen von Fahrplänen.
Zugleich wurden von ihnen weniger soziale und kommunikative Fähigkeiten erwartet, denn ein schweigsamer oder eigenbrötlerischer Mann war (und ist) normal.
Mädchen blieben dagegen noch bis ins neue Jahrtausend weitergehend unter dem Radar. Da sie schon frühkindlichem Alter viel stärker darauf geprägt werden «nett und sozial» zu sein, legen sich autistische Mädchen schon früh eine entsprechende Maske zu. Ihre wahren Gefühle bleiben dahinter verborgen.
Dennoch bleiben sie oft Aussenseiterinnen, weil ihnen die überbordende Gefühlswelt anderer Mädchen fremd ist und sie mit ihrer sehr ehrlichen ungefilterten Art anecken.
Das autistische Gehirn versteht nicht, warum es dem anderen Mädchen nicht sagen darf, dass das Glitzer-Einhorn zum Weglaufen hässlich ist.
So erkennen Eltern frühe Anzeichen
In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der Autismus-Diagnosen stark gestiegen. Schuld daran sind jedoch nicht, Impfungen oder andere Einflüsse von aussen.
Das Bewusstsein für die Existenz des autistischen Spektrums ist einfach stark gewachsen. Es macht Kinder- und Jugendpsychologen die Diagnose leichter – zunächst für Jungen und mittlerweile auch für Mädchen.
Ein typisches Merkmal ist des Weiteren die Ich-Bezogenheit der Kinder. Sie scheinen häufig in ihrer eigenen Welt zu leben und tun sich schwer damit, Freundschaften zu schliessen. Sie mögen es nicht berührt zu werden und legen grossen Wert auf Routinen.
So beharren autistische Kinder häufig auf bestimmte Nahrungsmittel, ganz gleich wie sehr sich die Eltern um Abwechslung bemühen.
Änderungen im Tagesablauf, zum Beispiel in den Ferien oder bei einem mehrtägigen Ausflug bringen sie aus der Fassung. Dies kann für Eltern durchaus ein Vorteil sein, denn zumindest ist ihr Kind berechenbar.
Autismus als Chance begreifen
Bis heute ist nicht klar, wie Autismus entsteht. Daher gibt es auch keine Heilung. Allerdings sollten Eltern Autismus auch nicht als Krankheit begreifen. Selbst das Wort Störung ist problematisch.
Mit der richtigen Unterstützung und liebevoller Begleiter können sich autistische Kinder genauso gut entwickeln wie neurotypische Kinder.
Bei entsprechender Förderung können sich hochfunktionale Autisten zu den berühmt-berüchtigten «zerstreuten Genies» entwickeln. Die dann dank ihrer Besessenheit mit bestimmten Themen Grosses erreichen.
Einer der berühmtesten Aspies (Autisten mit Asperger Syndrom) war Albert Einstein.