Vegan im Vormarsch? Die Schlachtzahlen in der Schweiz sinken
Die Schweizer Schlachtzahlen zeigen erstmalig einen Rückgang seit 2006. Hat das damit zu tun, dass sich immer mehr Menschen vegan ernähren?
Das Wichtigste in Kürze
- Zum ersten Mal seit 17 Jahren sind die Schlachtzahlen in der Schweiz rückläufig.
- Obwohl die Schlachtzahlen sinken, bleibt der Fleischkonsum in der Schweiz hoch.
- Die Bevölkerung zeigt sich aber offen für pflanzliche Alternativen zu tierischem Protein.
- Die Politik hinkt jedoch hinterher und fördert weiterhin die Fleischproduktion.
Die kürzlich veröffentlichten Zahlen von Proviande zeigen eine Kehrtwende in der Schweizer Fleischindustrie: Zum ersten Mal seit 17 Jahren sind die Schlachtzahlen rückläufig. Der Rückgang beträgt im Vergleich zum Vorjahr 1,1 Prozent.
Das ist zwar noch wenig, trotzdem markiert diese Zahl einen wichtigen Wendepunkt. Besonders vor dem Hintergrund der steigenden Bevölkerungszahlen in der Schweiz ist dieser Rückgang besonders beachtlich.
Aber: Die Zahl der geschlachteten Tiere in der Schweiz ist noch immer hoch. Laut der provisorischen Schlachtviehstatistik wurden im Jahr 2023 über 82,6 Millionen Tiere geschlachtet. Das sind fast zehnmal mehr Tiere als die Schweiz Einwohner hat.
Der Pro-Kopf-Fleischkonsum bewegt sich in der Schweiz seit Jahren bei rund 50 Kilogramm pro Person. Der Konsum liegt somit sowohl über dem Weltdurchschnittsverbrauch als auch über der Ernährungsempfehlung des Bundes.
Trendwende nach 17 Jahren
Die Anzahl der getöteten Tiere ist in den letzten 17 Jahren kontinuierlich angestiegen. Gründe hierfür sind der hohe Fleischkonsum und der Trend zu Hühnerfleisch. Für ein Kilo Hühnerfleisch sterben mehr Tiere als für ein Kilo Rindfleisch.
Der letzte Rückgang war in den Jahren 2005 und 2006 verzeichnet worden, als aufgrund der Vogelgrippe weniger Hühnerfleisch abgesetzt wurde. Die derzeit rückläufigen Schlachtzahlen in der Schweiz schliessen sich einem Trend im EU-Raum an, wo ebenfalls eine Abnahme stattfindet.
Wie ist diese Abnahme einzuordnen? Einflussfaktoren sind der vermehrte Kauf von ausländischen Produkten, Teuerung und Einkaufstourismus. Doch auch die wachsende Zahl an Menschen, die sich (teilweise) vegetarisch oder vegan ernähren, dürfte zu dieser Entwicklung beitragen.
Positive Reaktionen aus dem Tierschutz
Schweizer Tierschutzorganisationen äussern sich grundsätzlich erfreut über die Nachricht und hoffen, dass die Entwicklung anhält.
Céline Schlegel, Geschäftsleiterin von Animal Rights Switzerland, ist erleichtert, dass die Zahlen rückläufig sind. «Ich hoffe, dass wir bald von einer Trendwende sprechen können. Es kann mit dem Fleischkonsum nicht weitergehen wie bisher.»
Sie weist auf den konstant hohen Fleischkonsum der letzten Jahre hin. «Die Schlachtzahlen sind in den letzten Jahrzehnten regelrecht explodiert. Es ist eine ethische Katastrophe.» Besonders tragisch: Obwohl es eine Fülle an gesunden Proteinquellen gibt, die vegan sind, essen viele Menschen lieber tierische Produkte.
Philipp Ryf, Geschäftsleiter von Sentience, fordert deshalb, dass Politik und Handel dringend einen Ausstiegsplan aus der industriellen Tierproduktion ausarbeiten müssen. Stattdessen sollen alternative Proteine gefördert werden.
Mit alternativen Proteinen sind Eiweissquellen gemeint, die vegan sind. Dazu zählen zum Beispiel Erbsen, Soja, Linsen, Kichererbsen oder Bohnen. Diese können direkt gegessen oder aber weiterverarbeitet als Schnitzel, Joghurt, Burger etc. konsumiert werden.
Alternative: Mehr vegan essen
Pflanzliche Proteinquellen sind gesund und schonen Tier und Umwelt. Wer vegan isst, trägt dazu bei, dass in der Schweiz weniger Tiere für den Konsum geschlachtet werden. Gemäss der repräsentativen Studie «Plant Based Food Report 2024» von Coop zeigt sich, dass die Schweizer grundsätzlich dafür offen sind.
58 Prozent der Befragten gaben an, mehrmals im Monat auf tierische Lebensmittel zu verzichten. 28 Prozent der Schweizer Bevölkerung essen als Ersatz mehrmals pro Monat Alternativen zu Fleisch, Milch und Käse.
Anders sieht es in der Politik aus. Hier besteht kein Wille, «die Geldmittel in eine für die Tiere, die Gesellschaft und die Umwelt sinnvolle Richtung zu lenken.» Dies sagt Vanessa Gerritsen, Geschäftsleitungsmitglied bei der Stiftung für das Tier im Recht.
Sie kritisiert zudem, dass der Fleischkonsum und die Produktion gleich doppelt durch öffentliche Mittel gefördert wird. «Zum einen erhalten Betriebe, die Tiere zur Fleischproduktion züchten und mästen, hohe Direktzahlungsbeiträge. Zum anderen investiert der Bund Millionenbeträge in die Absatzförderung von Schweizer Fleisch.»
Vegan statt Fleisch – machen die Bauern auch mit?
Sarah Heiligtag, Präsidentin des Vereins Hof Narr, schliesst sich der Kritik an. Sie findet, dass die öffentliche Förderung dort liegen sollte, wo am wenigsten Schaden zugefügt wird. Das sei in der in der pflanzlichen, lokalen Landwirtschaft. Heiligtag selbst berät Höfe beim Ausstieg aus der Tierproduktion.
Sie sagt weiter: «Diesen Bedarf bestätigt auch das grosse Bedürfnis nach Umstellungen. Raus aus der Nutztierhaltung, rein in die pflanzliche Landwirtschaft bei den Landwirten, die sich an uns wenden.»
Ob die diesjährigen Schlachtzahlen tatsächlich eine Kehrtwende darstellen, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.