Spazierengehen in den Ferien: Warum es uns guttut
Schon Goethe wusste: Nur wer zu Fuss an einem Ort war, ist wirklich dort gewesen. Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar sagt, wieso das heute aktuell ist.
Das Wichtigste in Kürze
- Wer in den Ferien einen neuen Ort kennenlernen möchte, sollte dabei auch die Beine nutzen.
- Denn: Gehen führt uns am dichtesten an die Welt heran, weil alle Sinne beteiligt sind.
- Das anscheinend Unspektakuläre und der Zufall haben oft Erstaunliches zu bieten.
- Das Wohlfühl-Plus: Gehen entschleunigt, denn das Gehirn hält mit den Füssen Schritt.
In den Ferien die Beine hochlegen? Unbedingt. Aber um die Atmosphäre vor Ort aufzusaugen und das Reiseziel kennenzulernen, sollten die Beine auch benutzt werden.
«Wenn wir wirklich wissen wollen, wie es ist, müssen wir vor Ort sein und uns da mittels unserer Beine bewegen», sagt der Buchautor Bertram Weisshaar («Einfach losgehen»). Nau.ch will es genauer wissen.
Herr Weisshaar, inwiefern bereichert Spazieren eine Reise?
Es gibt ja den viel zitierten Spruch von Goethe: «Nur wo Du zu Fuss warst, bist Du auch wirklich gewesen.»
Das Gehen führt uns am dichtesten an die Welt heran. Wir riechen die Umgebung, spüren die leichtesten Unterschiede von Sonne und Schatten. Ist man neugierig auf einen Ort, möchte man ihn erfahren und erleben? Dann kann man das am besten zu Fuss.
Wenn wir gehen, sind wir mit der uns angeborenen Geschwindigkeit unterwegs, und das Gehirn hält mit den Füssen Schritt.
Sobald wir irgendein Fahrzeug benutzen – sei es ein Velo, ein Auto, eine Seilbahn, ein Bus – sind wir sofort viel schneller. Rasch kommen zu viele Sinneseindrücke im Hirn an. Unsere Wahrnehmung wird oft viel oberflächlicher.
Also lieber zu Fuss durch eine Stadt als im «Hop-on-Hop-off»-Tour-Bus?
Klar, das hat viel zu tun mit körperlicher Verfasstheit. Aber für körperlich gesunde Menschen würde ich das Gehen empfehlen.
Auch das Unspektakuläre zwischen den Sehenswürdigkeiten ist wichtig. Das mag nicht so bedeutungsvoll sein, als dass man es in einem Reiseführer festhalten würde – aber wenn das alles immer fehlt, fehlt in der Summe etwas Wesentliches vom Reise-Ort.
Sich mal von Impulsen steuern lassen, ist eine Einladung an den Zufall. Die leisen Töne, die zufälligen Begegnungen, dafür muss man sich Zeit nehmen. Dafür braucht es langsame Fortbewegung.
Das gelingt natürlich nur, wenn man sich für die Reise nicht zu viel vorgenommen hat und nicht die ganze Zeit damit beschäftigt ist, eine Sightseeing-Liste abzuarbeiten.
Ausserdem ist Bewegung auch eine körperliche Wohltat. Das gehört zu einem gelungenen Tag dazu, dass man sich gehend fortbewegen konnte, und nicht nur viele Stunden in einem Reisebus sass.
Haben Sie Tipps für den Spaziergang am Ferienort?
Zwei Dinge würde ich nennen. Das eine ist: Einfach losgehen, ohne grossen Plan. Herumstreunen könnte man das nennen. Das geht auch gut zwischendurch.
Das andere ist: Einfach mal den Blick auf die Luftansicht des Ferienorts werfen, etwa in einer Karten-App. Was fällt einem da auf?
Sei es eine Lücke in der Siedlung oder der Verlauf des Flusses in der Stadt: Irgendwas entdeckt man immer, was eigenartig oder interessant aussieht – und dann geht man da hin. Das weckt die Spazierfreude.