Ist ein besseres Leben von Schweinen und Kühen bezahlbar?
Mehr Platz, mehr Luft, mehr Licht - Deutschlands Nutztieren soll es besser gehen. Aber Ställe umzubauen ist teuer. Sollen die Kunden an der Ladenkasse dafür zahlen? Das ist Thema bei einem Treffen der Agrarminister. Andere hätten gern ein grundsätzlicheres Umdenken.
Das Wichtigste in Kürze
- Wie sollen Milchkühe, Mastschweine und Hühner in Deutschland leben - und wer kommt für die Kosten auf, die mehr Tierwohl für die Landwirte mit sich bringt? Darüber beraten die Agrarminister von Bund und Ländern an diesem Donnerstag in Berlin.
Vorschläge liegen seit Monaten auf dem Tisch. Demnach könnten auf die Liebhaber von Fleisch, Wurst und anderen Tierprodukten bald höhere Preise zukommen. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ist für eine Tierwohl-Abgabe, die - so hat ihr Ministerium errechnet - jeden Deutschen im Schnitt 35 Euro pro Jahr kosten könnte.
Bei der Sondersitzung zum Tierwohl geht es um Vorschläge, die ein sogenanntes Kompetenznetzwerk unter Leitung des früheren Bundesagrarministers Jochen Borchert (CDU) im Februar vorgestellt hat - meist spricht man kurz von der Borchert-Kommission. Dazu gehört vor allem, Fleisch und andere tierische Produkte zu verteuern, etwa über eine Tierwohl-Abgabe.
Am Nachmittag will der Vorsitzende der Agrarministerkonferenz, der saarländische Umwelt- und Verbraucherschutzminister Reinhold Jost (SPD), die Ergebnisse der Beratung gemeinsam mit Borchert und Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) vorstellen.
Vor dem Treffen hatte Klöckner mitgeteilt, sie wolle das Tierwohl verbessern. Die Vorschläge der Borchert-Kommission böten dafür einen «gesamtheitlichen Ansatz». Klöckner verwies darauf, dass 300 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket 2020 und 2021 in Ställe investiert werden könnten. Es handele sich aber um einen «Systemwechsel» über eine Legislaturperiode hinaus. «Es bedarf eines gesellschaftlichen Konsenses und eines Generationenvertrages.»
Wie die Borchert-Kommission in ihren Empfehlungen schrieb, liegt der Anteil der tierischen Erzeugung am Produktionswert insgesamt bei etwas über der Hälfte, in einzelnen Bundesländern sogar bei mehr als zwei Dritteln. Die Intensiv-Tierhaltung bringe Umweltprobleme mit sich, auch Haltungsbedingungen stiessen auf Kritik. «Es zeigt sich ein erheblicher Handlungsbedarf zur Verbesserung des Tierwohlniveaus in der Nutztierhaltung, die im scharfen Kontrast zur bisher zögerlichen Weiterentwicklung sowohl des europäischen und des deutschen Ordnungsrechts, wie auch der Förderpolitik in diesem Bereich steht», lautete das - ziemlich schlechte - Zeugnis.
Das Kompetenznetzwerk schätzte den jährlichen, dauerhaften Förderbedarf für den notwendigen Umbau insgesamt für alle Tierarten auf 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2025, auf 2,4 Milliarden im Jahr 2030 und 3,6 Milliarden im Jahr 2040. Die Förderung steigt dem Vorschlag zufolge mit dem vorgeschriebenen Niveau der Tierhaltung. Den Landwirten sollten die Kosten demnach über Prämien zur Abdeckung der laufenden Kosten und einer Investitionsförderung zu einem Anteil von insgesamt etwa 80 bis 90 Prozent ausgeglichen werden.
Um das zu finanzieren, halten die Experten eine Tierwohl-Abgabe für besonders geeignet, weil sie eine «klima- und umweltpolitisch gewollte, moderate Lenkungswirkung» habe und Bürger damit «proportional zu ihrem Verbrauch an tierischen Produkten belastet werden», wie es in den Empfehlungen heisst.
Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte dazu der Deutschen Presse-Agentur: «Wir begrüssen die Empfehlungen des Kompetenznetzwerkes für eine nationale Nutztierstrategie ausdrücklich und unterstützen diese.» Sie sei eine «gute Basis» für die weiteren politischen Entscheidungen. Eine Weichenstellung für eine zukunftsfähige Tierhaltung sei dringend und überfällig, dabei sei die Frage der Finanzierung von entscheidender Bedeutung.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat schon mal ausgerechnet, was das heissen könnte: Denkbar wären demnach Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, 2 Cent pro Kilo für Milch und Frischmilchprodukte und 15 Cent pro Kilo für Käse, Butter und Milchpulver. Jeder Verbraucher müsste demnach pro Jahr im Schnitt 35,02 Euro mehr bezahlen. Es entfielen 23,80 Euro auf Fleisch, 4,72 Euro auf Eier und 6,50 Euro auf Milch und Milchprodukte. Das Ministerium hat den Durchschnittskonsum der Bundesbürger herangezogen - laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im vergangenen Jahr pro Person 59,5 Kilo Fleisch, 118,2 Kilo Milch und 236 Eier.
Der Bundestag hatte die Bundesregierung Anfang Juli aufgefordert, noch bis zur Wahl 2021 eine Strategie zum grundlegenden Umbau der Tierhaltung mit Vorschlägen zur Finanzierung vorzulegen. Die Corona-Fälle in Schlachthöfen hatten Billig-Fleisch und die Folgen noch einmal stärker in den Fokus gerückt. Vor dem Gespräch der Agrarminister hat die Umwelt-Organisation Greenpeace beim Institut Kantar eine Umfrage in Auftrag gegeben - demnach sehen 64 Prozent der Deutschen, also knapp zwei Drittel, «sehr grosse» oder «eher grosse» Missstände bei der landwirtschaftlichen Tierhaltung.
«Die SPD wird dem Verordnungsentwurf in der jetzigen Form im Bundestag nicht zustimmen», sagte die tierschutzpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Susanne Mittag, der «Neuen Osnabrücker Zeitung». «Mit Freiwilligkeit kommen wir nicht mehr weiter. Wir brauchen ein verpflichtendes Tierwohllabel auf den Verpackungen. Und dieses muss für alle Nutztiere gelten.»
Die Umwelt-Organisation WWF forderte anlässlich der Konferenz der Agrarminister einen «kompletten Systemwechsel» für Nutztierhaltung und Fleischwirtschaft in Deutschland. Dabei müsse es nicht nur um das Wohl der Nutztiere, sondern auch den Schutz von Umwelt, Klima und biologischer Vielfalt gehen - und den Erzeugern müssten faire Preise gewährleistet werden. Bund und Länder sollten jetzt den politischen Rahmen schaffen für den Ausstieg aus der auf Billigfleisch und auf Export getrimmten deutschen Fleischerzeugung. Mehrere Verbände riefen für Donnerstag zu einer Fahrraddemo in Berlin auf.