Corona-Milliarden: Wer profitiert vom EU-Hilfspaket am meisten?
Nach viertägigen Verhandlungen haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf ein Corona-Hilfspaket geeinigt. Mehrere Parteien dürfen mit dem Ergebnis zufrieden sein.
Das Wichtigste in Kürze
- Die 27 EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf ein Corona-Hilfspaket geeinigt.
- Von den 750 Milliarden Euro werden statt 500 nun 390 als Zuschüsse ausgegeben.
- Mit dem Kompromiss dürfte vor allem Ungarns Viktor Orban zufrieden sein.
Ganze 91 Stunden und 45 Minuten waren nötig, doch die 27 EU-Mitgliedsstaaten haben sich geeinigt: Das grösste Haushalts- und Finanzpaket der Unions-Geschichte ist zustande gekommen. Erstmals wird die EU für den Aufbauplan Schulden aufnehmen. Der Deal umfasst insgesamt 1,8 Billionen Euro, wovon 1074 Milliarden für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen vorgesehen sind.
Doch die eigentliche Knacknuss war das 750 Milliarden Euro schwere Corona-Hilfspaket. Statt der von der EU-Kommission vorgesehenen 500 Milliarden werden jetzt 390 Milliarden als Zuschüsse ausgegeben. Die restlichen 360 Milliarden Euro sollen als Kredite verteilt werden.
Klar ist: Alle mussten bei diesem Deal Kompromisse eingehen.
Die «Sparsamen Vier» kommen entgegen, erhalten dafür aber grössere Rabatte
Von Anfang an wollten die sogenannten «Sparsamen Vier» (Dänemark, Niederlande, Österreich und Schweden) zusammen mit Finnland zu hohe nicht rückzahlbare Zuschüsse verhindern. Sie forderten einen möglichst grossen Anteil an Krediten mit niedrigen Zinsen.
Eigentlich wollten sie Zuschüsse von maximal 350 Milliarden Euro zulassen und diese an überprüfbare Reformen binden. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte verlangte diesbezüglich ein Vetorecht. Gleichzeitig verlangten die «Sparsamen Vier» bei ihren EU-Budget-Beiträgen Rabatte. Am Ende akzeptierten sie Zuschüsse in Höhe von 390 Milliarden Euro.
Doch ein Teil ihrer Forderungen wurden umgesetzt: Rutte setzte etwa durch, dass 30 Prozent der Corona-Hilfen in den Klimaschutz fliessen sollen. Das Vetorecht konnte er zwar nicht erzwingen, aber die Mitgliedsstaaten müssen nationale Reformpläne vorlegen. Diese müssen von den anderen Ländern mit einer qualifizierten Mehrheit verabschiedet werden.
Zudem kann jeder EU-Staat bei Bedenken den EU-Rat beantragen, sich mit der Mittelvergabe an ein Land zu befassen. Im Rat selbst müsste dann die Zweidrittelmehrheit diese Bedenken teilen. Weil sie bei der Höhe der Zuschüsse entgegengekommen sind, erhalten die «Sparsamen Vier» zudem äusserst grosszügige Rabatte auf ihre EU-Beiträge. Für Österreich etwa beträgt dieser 565 Millionen Euro pro Jahr.
Ungarn und Polen können zufrieden sein
Die EU-Kommission forderte ursprünglich für die Vergabe der Corona-Gelder eine Bindung an die Rechtsstaatlichkeit. Denn diese wirft gerade den beiden Mitgliedsstaaten Ungarn und Polen seit Jahren Verstösse gegen die Rechtsstaatlichkeit vor, etwa bei der Gleichschaltung der Justiz. Aus Sicht der beiden Staaten galt es also eine solche Bindung zu verhindern.
Im Gegensatz zu den wegen der Corona-Pandemie stark angeschlagenen Mitgliedern wie Italien oder Spanien standen Ungarn und Polen nicht unter Zeitdruck. Das Resultat: Die EU-Kommission solle «Massnahmen für den Fall von Verstössen» vorschlagen.
Es könnte daraus hinauslaufen, dass im Streitfall die Zweidrittelmehrheit des EU-Rats entscheiden muss, ob eine Verletzung der Rechtsstaatlichkeit vorliegt. Doch ob es soweit kommt, ist mehr als fraglich.
Ist Deutschland nun der Verlierer des Deals?
Die Kompromisse bezüglich der Höhe der Zuschüsse an den Corona-Hilfen, der Rabatte und der gewünschten Knüpfung an die Rechtsstaatlichkeit lässt dies vielleicht vermuten. Dennoch: Die südlichen Staaten wie Italien erhalten ihre Corona-Hilfen und Angela Merkel kann einen Deal präsentieren, was ihr Ziel war. Und dies nur wenige Tage nach dem Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft.
«Was zählt, ist, dass wir fähig sind, ein gemeinsames Ergebnis zu erreichen», sagte die deutsche Kanzlerin in einer Videokonferenz. «Europa hat gezeigt, dass es mit 27 Mitgliedstaaten zu einer Einigung kommen kann.»
Es war nicht einfach, aber was für mich zählt ist, dass wir uns zusammengerauft haben und dass wir alle davon überzeugt sind, dass wir etwas aus den Ergebnissen machen wollen – Kanzlerin #Merkel in einer gemeinsamen PK mit Präsident @EmmanuelMacron nach dem #EUCO-Sondertreffen. pic.twitter.com/A5HgZDFjUn
— Steffen Seibert (@RegSprecherStS) July 21, 2020
Doch der EU-Sondergipfel hat auch gezeigt, wie schwierig Solidarität in Krisenzeiten in der Europäischen Union zu erreichen ist. Durch die vielen Kompromisse wurden auch die Haushaltsmittel für Themen wie Forschung, Gesundheit oder Migration gestutzt. Themen, die vor allem der EU-Kommission und dem EU-Parlament wichtig sind.
Ebendieses Parlament muss dem Deal noch zustimmen. Da muss Merkel nun einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Denn vielen Abgeordneten sind die genannten Themen wichtig, genauso wie ein Rechtstaatlichkeits-Schutz.