EU-Parlament nimmt sich qualvolle Tiertransporte vor
Brüllende Kälber, verletzte Hühner: Was Tieren auf Transporten durch die EU widerfährt, ist oft alles andere als regelkonform. Jetzt unternimmt das EU-Parlament einen neuen Anlauf für mehr Tierwohl.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Schwein ist fertig gemästet und soll geschlachtet werden.
Ein Kalb wird auf dem Milchbetrieb nicht gebraucht und soll in Holland gemästet werden.
Eine trächtige Kuh soll in Nordafrika kalben und dort weiter Milch geben - all das sind Gründe, warum täglich Millionen lebender Tiere durch Europa und über seine Grenzen hinaus transportiert werden. Was sie auf dieser Reise erleben, ist oft qualvoll: Da sind Hunger, Hitze, Enge und Verletzungen.
Seit vielen Jahren sind Missstände bekannt. Doch die Kontrollen der bestehenden Regeln sind schwierig, und immer wieder schrecken Skandale die Öffentlichkeit auf. Nun unternimmt das EU-Parlament einen neuen Anlauf, um die Transportbedingungen für Tiere zu verbessern.
Die Abgeordneten stimmten über den Bericht eines Untersuchungsausschusses ab, der gravierende Mängel bei der Umsetzung der Regeln feststellt und Vorschläge zu besserem Tierschutz macht. Ziel ist es, Druck auf die EU-Kommission aufzubauen, damit diese die Regeln nachbessert und für konsequentere Kontrollen sorgt.
Eine, die das Leid der Tiere schon oft mit eigenen Augen gesehen hat, ist Iris Baumgärtner, Vize-Vorstand der Tierschutzorganisation Animal Welfare Foundation. Sie fährt regelmässig Tiertransportern hinterher. Unterschiedliche Tierarten litten auf Reisen unterschiedlich, sagt Baumgärtner.
«Hühner oder Puten sitzen in den Lkws stundenlang in kleinen Containern oder Käfigen, in denen sie nicht einmal aufrecht stehen können.» Viele klemmten sich die Füsse oder die Flügel ein. «Man sieht immer wieder tote oder verletzte Tiere dazwischen, aber man kann ihnen nicht helfen, weil man nicht an sie rankommt.»
Quälende Stopps in sengender Hitze
Bei Rindertransporten seien die teils quälend langen Stopps an EU-Aussengrenzen besonders problematisch, oft in sengender Hitze. «Die Tiere stehen in ihren Exkrementen», sagt Baumgärtner. «Selbst wenn man nur durch die offenen Lüftungsklappen filmt, tränen einem die Augen von der Schärfe des Ammoniaks.» In Transportschiffen setzten niedrige Decken, Seegang, Platzmangel und steile Laderampen den Tieren zu.
Kälber, die noch auf Milch angewiesen sind, hungerten auf längeren Transporten. Wenn sie einem Kälbertransporter hinterherfahre, höre sie oft das Brüllen der Tiere, die seit Stunden keine Nahrung bekommen hätten. Grundsätzlich bemängelt Baumgärtner, dass Tiere ganz rechtmässig über unbeschränkte Distanzen transportiert werden dürfen - wenn sie zwischendurch für vorgeschriebene Pausen an speziellen Stationen abgeladen werden.
1,6 Milliarden lebende Tiere
Die Probleme betreffen potenziell eine Riesenzahl an Tieren. Mehr als 1,6 Milliarden lebende Tiere wurden 2019 laut EU-Parlament innerhalb der EU und aus der EU hinaus transportiert. Der Wert des Handels mit lebenden Tieren innerhalb der EU belief sich 2018 laut EU-Parlament auf 8,6 Milliarden Euro. Knapp drei Milliarden Euro brachte der Handel mit lebenden Tieren mit Drittstaaten ein.
In dem nun verabschiedeten Text werden Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten gefordert, die die Probleme nicht beheben, sowie Transportverbote bei Extremtemperaturen. Fahrer sollen nach Willen der Abgeordneten zudem verpflichtet werden, sofort einen Tierarzt zu alarmieren, wenn Tiere in dem Transport verletzt sind. Ausserdem schlagen die Parlamentarier Überwachungskameras für Lkw vor und ein Verbot von Transporten sehr junger Kälber, allerdings mit Ausnahmen.
Mancher Vorschlag wird gestrichen
Ein Transportverbot für Jungtiere aller Arten unter fünf Wochen, so wie es der Untersuchungsausschuss vorgeschlagen hatte, konnte sich nicht gegen den Widerstand der Konservativen sowie vieler Sozialdemokraten und Liberaler durchsetzen.
Ebenfalls wurde die Forderung gestrichen, für alle Tierarten jeweils eine Höchstdauer für Transporte festzulegen, was von Tierschützern als besonders wichtig erachtet worden war. «Für die Mehrheit von Tierarten bleiben wir bei den aktuell zugelassenen 29 Stunden Lkw-Transport und unbegrenztem Transport auf dem Schiff», bedauert die Grünen-Abgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg.
Für die Tierschützerin Iris Baumgärtner ist es besonders unverständlich, dass die Abgeordneten sich nicht gegen den Lebendtiertransport in Drittländer ausgesprochen haben. Dabei könnten die Regeln hier grundsätzlich nicht eingehalten werden. «Es ist anscheinend ein 'Weiter so' gewünscht - und keine Reform der Landwirtschaft», sagt sie.
Die Bundesregierung jedenfalls wolle ein EU-weites Verbot von Langstreckentransporten lebender Nutztiere in Drittländer, erklärte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bereits vor der Abstimmung. «Besser ist ein Umlenken hin zu Transporten von Fleisch.»
Für die Europäische Union des Vieh- und Fleischhandels (UECBV) dürften die Abstimmungsergebnisse eher erfreulich sein. Vorab hatte sie mitgeteilt, man begrüsse den Bericht in weiten Teilen. Eine Senkung der erlaubten Transportzeiten sei allerdings nicht zielführend, da der kritischste Faktor für das Wohlergehen der Tiere während des Transports nicht die Transportdauer sei, sondern die Be- und Entladungsvorgänge.