Französisches Dorf verbietet Handys in der Öffentlichkeit
Smartphone-Verbot in Geschäften, auf dem Dorfplatz und dem gesamten öffentlichen Raum: Ein Experiment in Frankreich sorgt für Begeisterung.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Dorf in Frankreich hat Smartphones aus dem öffentlichen Raum verbannt.
- Die Kinder spielen wieder mehr, es entstehen neue Bekanntschaften.
- Trotzdem sind nicht alle Leute happy mit der Entwicklung. Ein Experte ordnet ein.
Rund 36 Kilometer südostlich von Paris liegt Seine-Port. Knapp 2000 Einwohner, eine Metzgerei, eine Bäckerei, ein Dorfplatz. Ein typisches französisches Dorf, wäre da nicht eine Besonderheit.
Im Februar 2024 stimmte die Bevölkerung in einer Abstimmung der Idee zu, das Smartphone aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Seither dürfen in den Geschäften, den Bars und Cafés und auf dem Dorfplatz von Seine-Port keine Handys mehr benutzt werden.
54 Prozent für das Handy-Verbot
54 Prozent der Bevölkerung unterstützten das Anliegen von Bürgermeister Vincent Paul-Petit. Der 64-Jährige will mit seiner Regel die Gemeinschaft schützen. «Und vor allem die Kinder», wie Paul-Petit in verschiedenen Medien sagt.
Auf täglich bis zu 8,5 Stunden Bildschirmzeit kommen Jugendliche in Europa. Auch in Seine-Port war das so. «Sobald die Kinder aus dem Schulhaus getreten sind, haben sie ihre Handys gezückt und nicht mehr miteinander gesprochen», sagt Paul-Petit.
Seit der Einführung des Verbots ist dies anders: Im Dorf sprechen die Leute wieder vermehrt miteinander. Die Kinder spielen draussen, es entstehen schneller neue Bekanntschaften. Viele Einwohner zeigen sich vom Effekt des Handy-Verbots begeistert.
Gesetz mit symbolischem Charakter
54 Prozent Zustimmung bedeuten aber auch, dass knapp die Hälfte der Einwohner gegen das Smartphone-Verbot in Seine-Port ist. Und weil lokale Gesetze in Frankreich keine juristischen Folgen haben, können Verstösse nicht belangt werden.
Sprich: Das Gesetz zum Smartphone-Verbot hat mehr symbolischen Charakter. Und so sieht man in Seine-Port noch immer an vielen Ecken Jugendliche und Erwachsene vertieft in ihre Handys. Trotz des Verbots.
Für die Annahme, dass es in der Schweiz kaum anders aussehen würde, braucht es wenig Fantasie. Weshalb also können viele Menschen nicht auf ihr Smartphone verzichten? Was sorgt für den Drang, das Handy ständig zu zücken und so spannende Begegnungen oder Gespräche zu verpassen?
Die Sache mit der Sucht
«Das Handy ist Telefon, Kamera, Fernseher, Computer, Navigationsgerät, Radio und Zeitung in einem. Man hat Zugang zu sozialen Netzwerken, E-Mails, Spielen, Videos und Musik – alles in einem Gerät.» Diese All-in-one-Natur mache es so attraktiv, sagt Kommunikationsforscher Alexander Ort zu Nau.ch.
«Dazu kommt, dass Smartphones unser Belohnungssystem im Gehirn ständig aktivieren.» Benachrichtigungen und soziale Medien verstärkten das Gefühl, nichts verpassen zu wollen. «Die ständige Verfügbarkeit und die schnellen Belohnungen erschweren es, das Gerät beiseitezulegen», so Ort.
Dem Experten zufolge findet man bei 5–10 Prozent der jungen Erwachsenen Anzeichen für eine pathologisch relevante Nutzung von digitalen Medien.
Bei dieser Gruppe treten also Symptome von Handysucht auf, was sich in Kontrollverlust oder Vernachlässigung anderer Interessen niederschlägt. Und ganz grundsätzlich negative Auswirkungen auf das tägliche Leben mit sich bringt.
Eine Reduktion von Bildschirmzeit begrüsst Ort daher. Ohne Smartphone verbrächten die Menschen mehr Zeit mit sozialen Interaktionen, seien körperlich aktiver und könnten sich besser auf Aufgaben konzentrieren.
Ob ein Verbot wie in Seine-Port der richtige Weg ist? Der Experte ist skeptisch: «Wir Menschen lassen uns grundsätzlich nicht gerne bevormunden, wenn es um unser eigenes Verhalten geht.» Er glaubt, dass ein ähnliches Anliegen in der Schweiz keine Mehrheit finden würde.
Nicht alle glücklich mit dem Verbot
Auch in Seine-Port sind nicht alle glücklich. Das Smartphone-Verbot sei für Kinder, nicht für Erwachsene, schimpfte ein älterer Dorfbewohner bei einem Besuch der «NZZ». Und eine elfjährige Schülerin meint: «Niemand hört auf den Bürgermeister.»
Dabei liegt Vincent Paul-Petit mit seinem Anliegen wohl nicht einmal falsch. «Die Leute fühlen sich von den handyfreien Zonen eingeschüchtert, ja fast beraubt. Das sagt wohl alles aus über die ungesunde Beziehung zu ihrem Telefon», sagt eine Verkäuferin der «NZZ».
Und so dürfte das Experiment von Seine-Port nur wenige Nachahmer finden. Auch wenn die positiven Effekte von Smartphone-freien Zonen objektiv betrachtet eigentlich überwiegen würden.