Gewalt und Proteste in Belarus - Konfrontation verschärft sich
In den letzten Wochen wurden Frauen, Kinder und Rentner Opfer von Gewalt an Protesten. Das Innenministerium droht nun Schusswaffen und Munition einzusetzen.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Innenministerium in Belarus droht Schusswaffen und Munition an Protesten einzusetzen.
- Lukaschenko setzt auf Polizei und Militär, die mit Gewalt für seinen Amts-Verbleib sorgen.
- Die Initiatoren der Proteste betonen hingegen immer wieder deren friedlichen Charakter.
Mit jeder neuen Woche nimmt die Gewalt des Apparats von Präsident Alexander Lukaschenko in Belarus gegen die friedliche Demokratiebewegung zu. Auch Frauen, Kinder und Rentner wurden zuletzt Opfer von Übergriffen. Nach dem Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas, Blendgranaten sowie Knüppeln und Gummigeschossen droht nun das Innenministerium. Sie würden Schusswaffen und scharfe Munition einsetzen.
Schwächelt das System oder flauen die Proteste ab?
Der Widerstand gegen den 66-Jährigen Lukaschenko ist ungebrochen. Trotz Hunderter Festnahmen und der massiven Gewalt von Uniformierten gegen Demonstranten gibt es täglich Protestaktionen. Der Sonntag ist mit Zehntausenden oder sogar mehr als 100'000 Demonstranten der Höhepunkt den wöchentlichen Protesten.
Einschüchterungsversuche und sogar Folterungen im Gefängnis und Todesfälle haben die Demokratiebewegung bisher nicht zum Schweigen gebracht. Das System zeigt sich aber weiter stark und entschlossen – wie auch die Protestbewegung. «Die Konfrontation hat sich eher noch verstärkt», sagte der Minsker Politologe Waleri Karbelewitsch der Deutschen Presse-Agentur.
Wie hält sich Lukaschenko an der Macht?
Er setzt vor allem auf Polizei und Militär, die mit Gewalt seinen Verbleib im Amt garantieren. Lukaschenko ist zwar international weitgehend isoliert. Die EU-Staaten und viele andere Länder erkennen ihn nicht mehr als Präsidenten an. Aber der wichtige Nachbar Russland, von dem Belarus wirtschaftlich abhängig ist, steht fest an Lukaschenkos Seite.
Auch China. «Es gibt weiter auch keine Erosionserscheinung in der Regierung oder bei den grossen Organisationen», sagt Karbelewitsch. Solange es keine Spaltung der Elite gebe und die Proteste friedlich blieben, könne er sich halten.
Das Innenministerium hat nun erstmals offen gedroht, mit scharfer Munition auf Demonstranten schiessen zu lassen. Wie ernst ist das? Experten sehen darin vor allem eine Drohung mit dem Ziel, die Menschen weiter zu verängstigen.
«Wir sehen von Woche zu Woche einen Anstieg der Gewalt seitens des Machtapparats. Und auf Teile der Bevölkerung wirkt das natürlich», sagt Karbelewitsch. Der Kommandeur einer Sondereinheit im Innenministerium, Nikolai Karpenkow, bezeichnete die Gegner Lukaschenkos als «Banditen». «Es wird auf jeden geschossen, der mit einem Messer die Hand gegen einen Vertreter der Sicherheitsorgane erhebt», warnt er.
Kann aus der friedlichen noch eine blutige Revolution werden?
Es gibt einzelne Aufrufe, eine Selbstverteidigungsbewegung gegen den Machtapparat aufzubauen. Erinnert wird oft auch an die Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg. Weshalb die grosse Sonntagsdemonstration diesmal auch als «Partisanenmarsch» angelegt ist. Aber Experten wie der Minsker Analyst Artjom Schraibman sehen dafür kaum Chancen.
Die Menschen in Belarus hätten keinen Zugriff auf Waffen. Zudem betonen die Initiatoren der Proteste immer wieder deren friedlichen Charakter. Es sind auch keine Kräfte in Sicht, die wie gerade in der Ex-Sowjetrepublik Kirgistan öffentliche Gebäude stürmen und besetzen. Für einen solchen Fall hat auch der Kremlchef Wladimir Putin offen mit einem russischen Eingreifen gedroht.
Was kann Tichanowskaja aus ihrem Exil in Litauen heraus erreichen?
Die Anführerin der Revolution, Swetlana Tichanowskaja, hat Lukaschenko ein Ultimatum gestellt. Sie gilt vor allem als Symbolfigur der Demokratiebewegung. Sie ruft zu Protesten und Streiks auf und wiederholt immer wieder die drei Kernforderungen. Lukaschenkos Rücktritt, die Freilassung aller politischen Gefangenen und Neuwahlen.
Tichanowskaja hat in ihrem Ultimatum für den 25. Oktober zu einem Generalstreik im ganzen Land aufgerufen, sollten die Punkte bis dahin nicht erfüllt werden.
«Ich bin skeptisch, ob ihr das gelingt. Ihr Einfluss auf die Lage im Land ist sehr begrenzt, weil sie im Ausland sitzt», sagt Karbelewitsch. «Die Protestbewegung organisiert sich spontan und vor allem über die Kanäle im Nachrichtendienst Telegram.»