Hoffnung in Spanien: Sozialisten und Linke rücken zusammen
Sánchez hatte es am Wahlabend versprochen - und dieses Mal hält er Wort: Schon zwei Tage nach der Abstimmung macht er Nägel mit Köpfen und schliesst ein Abkommen mit der von ihm lange verschmähten Linken. Warum erst jetzt? Und bringt das überhaupt was, fragen sich viele.
Das Wichtigste in Kürze
- In Spanien keimt zwei Tage nach der zweiten Neuwahl in diesem Jahr ein bisschen Hoffnung: Die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez erzielten mit dem Linksbündnis Unidas Podemos (UP) unerwartet schnell eine «Vorvereinbarung» zur Bildung einer Regierungskoalition.
«Es handelt sich um ein vielversprechendes, aufregendes Abkommen», sagte Sánchez auf einer Pressekonferenz mit UP-Chef Pablo Iglesias nach der Unterzeichnung der Einigung im Parlament in Madrid. Spanien benötige eine «stabile, solide Regierung», so der 47-Jährige nach einer innigen Umarmung mit dem lange von ihm ignorierten Iglesias.
Beide Gruppierungen kommen im 350-köpfigen «Congreso de los Diputados» allerdings nur noch auf 155 Sitze (PSOE 120 Mandate, UP 35 Mandate). Sie sind somit auch gemeinsam von der absoluten Mehrheit von 176 Sitzen noch weit entfernt und bräuchten für eine Wahl von Sánchez zum Regierungschef im Parlament die Unterstützung weiterer Parteien - die weiterhin in den Sternen steht.
Das nun erzielte Grundsatzabkommen sorgte in Spanien unterdessen nicht nur im konservativen Lager für bissige Kommentare. Der Sozialisten-Chef hatte sich nämlich nach der ersten Neuwahl am 28. April monatelang geweigert, eine Koalition mit UP einzugehen. Dabei hatten beide Parteien damals noch insgesamt zehn Sitze mehr. Während viele Menschen auf den Strassen sich deshalb fragten: «Warum erst jetzt? Und bringt das überhaupt was?», schimpfte der konservative Regionalpräsident von Galizien Alberto Núñez Feijóo: «Die alle haben uns eine lange Zeit betrogen!»
Frauenliebling Sánchez, «El Guapo» («Der Schöne») genannt, räumte vor Journalisten die «Enttäuschung vieler progressiver Wähler» ein, dass es nicht früher zu einem solchen Abkommen gekommen sei. Er sprach aber mit einem breiten Lächeln die Zuversicht aus, dass die Einigung zur Bildung einer «rundweg progressiven Regierung», die in erster Linie für soziale Gerechtigkeit kämpfen werde, dazu beitragen werde, diese Enttäuschung vergessen zu machen. Iglesias erklärte, die PSOE werde «Erfahrung» und UP «Mut» beisteuern. «Sí se puede» - es geht doch, postete der Politikdozent (41) auf Twitter.
Oppositionsführer Pablo Casado von der konservativen Volkspartei PP sieht es anders: «Das ist eine radikale Koalition. Das Letzte, was Spanien brauchen kann.» Sánchez habe mit dem Abkommen mit UP «die Tür zu jeder Zusammenarbeit mit der PP geschlossen», betonte er. Auch die liberalen Ciudadanos schlossen eine Unterstützung von Sánchez aus. Kaum Jubel gab es auch in der Wirtschaftswelt. Während an allen wichtigen Börsen Europas die Kurse nach oben kletterten, gab der Index Ibex 35 in Madrid nachmittags um fast ein Prozent nach.
Die eher sozialdemokratisch orientierte PSOE hatte am Sonntag den Erfolg der ersten Neuwahl des Jahres wiederholt, die absolute Mehrheit aber erneut klar verpasst. Eine Überwindung der lang anhaltenden politischen Lähmung in Madrid scheint auch nach dem Abkommen PSOE-UP alles andere als leicht. Sie wird von der noch grösseren Zersplitterung der Stimmen sowie vom Erstarken der Rechtspopulisten von Vox erschwert, die ihre Sitze mehr als verdoppeln konnten und nun drittstärkste Fraktion in Madrid sind.
«Wir werden alle Parteien ansprechen bis auf jene, die Hass verbreiten», hatte Sánchez am Wahlabend in Anspielung auf die Ultrarechten angekündigt. Einige meinen, damit seien auch die Separatisten der Konfliktregion Katalonien gemeint, die im neuen «Congreso de los Diputados» ebenfalls stärker vertreten sind.
Der Unabhängigkeitskonflikt drohte auch die Gespräche zur Regierungsbildung zu überschatten. Während das Regionalparlament in Barcelona am frühen Morgen mit einem neuen Beschluss zum Recht auf Selbstbestimmung für Aufsehen sorgte, zeigten spanische Fernsehsender immer wieder Bilder von rund 2000 Separatisten, die beim Protest an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien stundenlang eine wichtige Verkehrsader blockierten.
Am Übergangspunkt zwischen La Jonquera und Le Perthus gelang es Polizisten beider Länder auf beiden Seiten der Grenze, die Demonstration der katalanischen Plattform «Demokratischer Tsunami» aufzulösen. Es gab dabei nach Medienberichten mindestens 19 Festnahmen. Die Autobahn AP-7 blieb aber zunächst weiter gesperrt. In Madrid kippte das Verfassungsgericht derweil in einem vorläufigen Urteil den Beschluss der katalanischen Abgeordneten.
Der katalanische Regionalpräsident Quim Torra sagte, er schliesse eine Unterstützung seiner Partei JuntsXCat für Sánchez nicht aus. Als Gegenleistung müsse Sánchez aber einen Dialog mit der Region eröffnen, «bei dem über alles gesprochen werden kann». Dass der Sozialist dieses Angebot annimmt, ist allerdings äusserst unwahrscheinlich. JuntsXCat hat im Nationalparlament acht Sitze. Sánchez hatte im Juni 2018 mit den Stimmen der Separatisten seinen konservativen Vorgänger Mariano Rajoy per Misstrauensvotum gestürzt. Im Februar musste er aber die erste Neuwahl ausrufen, weil die Katalanen seinen Etatentwurf nicht durchwinken wollten.