Jan Kuciak: Ein schwieriges Urteil für die Slowakei
Der brutale Mord am slowakischen Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten führte 2018 zu Massenprotesten und dem Sturz der Regierung. Das Gericht verurteilt nun die Täter, aber nicht den vermuteten Auftraggeber. Die Hinterbliebenen sind sichtlich enttäuscht.
Das Wichtigste in Kürze
- Die ganze Slowakei stand unter Schock, als im Februar 2018 das junge Paar in seinem Haus erschossen aufgefunden wurde.
Der Mordfall machte Schlagzeilen weit über das Land hinaus, trieb Hunderttausende empörte Slowaken auf die Strasse - und kostete letztlich etliche Spitzenbeamte, Regierungspolitiker und sogar Richter und Staatsanwälte ihren Job. Doch das Gerichtsurteil am Donnerstag bringt den Hinterbliebenen keine wirkliche Genugtuung und dürfte viele kritische Prozessbeobachter kaum zufriedenstellen. Denn ihre Hoffnung, dass der zwielichtige Millionär Marian Kocner als Auftraggeber des Doppelmordes verurteilt wird, erfüllt sich nicht.
Auch die Eltern der beiden Ermordeten verfolgen die Urteilsverkündung im Gerichtssaal. Als sich abzeichnet, dass Kocner und seine vermutete Komplizin Alena Z. nur wegen kleinerer Delikte wie illegalen Waffenbesitzes verurteilt werden, verlassen sie sichtlich enttäuscht in Polizeibegleitung den Gerichtssaal.
In dem Prozess ging es um den Mord am Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova. Am 21. Februar 2018 wurden die beiden 27-Jährigen in ihrem Haus erschossen. Angeklagt waren der Unternehmer Kocner als mutmasslicher Auftraggeber des Mordes, Alena Z. als mutmassliche Organisatorin und ein nun als Mittäter schuldig gesprochener Ex-Polizist. Der Todesschütze und ein weiterer Mittäter hatten bereits zuvor Geständnisse abgelegt.
Kuciak hatte über zwielichtige Geschäfte Kocners berichtet, aber auch über andere Verfilzungen von Politik und Geschäftswelt. Eine erst nach seinem Tod veröffentlichte Reportage löste Massendemonstrationen gegen Korruption aus und führte zum Rücktritt der damaligen Regierung. Sowohl der Sieg der liberalen Bürgeranwältin Zuzana Caputova bei der Präsidentenwahl im Frühjahr 2019 als auch der Sieg einer populistischen Anti-Korruptions-Plattform bei der Parlamentswahl im Februar 2020 waren mittelbare Folgen der Proteste.
Obendrein führten die Mordermittlungen zu einer Serie von Korruptionsenthüllungen im Justizsystem: In einem für die Slowakei beispiellosen Schlag der Polizei wurden im vergangenen Jahr 13 Richter und Staatsanwälte sowie eine ehemalige Justiz-Staatssekretärin festgenommen. Letztere und ein Teil der Richter sitzen bis heute in Untersuchungshaft. Sie werden beschuldigt, in Kocners Auftrag gegen Bestechungsgeld zahlreiche Gerichtsprozesse manipuliert zu haben, in denen er wegen Betrugs angeklagt war. Viele dieser zum Teil etliche Jahre zurückreichenden Verfahren werden wohl nochmals aufgerollt werden müssen.
Daniel Lipsic, der Anwalt der Familie Kuciak, schloss schon am Vorabend des Urteils gegenüber der Deutschen Presse-Agentur einen Freispruch Kocners nicht mehr aus. Es werde aber in diesem Fall sicher eine Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil geben, erwartete er. Denn auch wenn es keine direkten Beweise für den Mordauftrag gebe, so lägen doch viele Indizien vor. «Ich halte die von der Anklage vorgelegten indirekten Beweise (...) für so stark, dass ich von der Schuld Kocners überzeugt bin», erklärte der Staranwalt und Ex-Justizminister. Er vertritt die in bescheidenen Verhältnissen lebende Familie Kuciak ohne Honorar.
Der Journalist Arpad Soltesz leitet das nach dem Ermordeten benannte «Jan-Kuciak-Investigativzentrum», das den Geist von Kuciaks Arbeit fortführen soll, indem es Medien mit Enthüllungsmaterial zu Korruptionsfällen versorgt. Während die meisten Prozessbeobachter und Medien des Landes das Urteil als unerwarteten Paukenschlag bewerteten, nimmt es Soltesz nüchtern auf: «Wir Journalisten sind allesamt voreingenommen, weil wir alle Kocner hassen und ihm wünschen, dass er bis an sein Lebensende im Gefängnis schmoren muss.»
Es sei aber wichtig, sich diese Voreingenommenheit einzugestehen, betont Soltesz: «So wie wir in unserer Berichterstattung alle Emotionen hintan stellen und uns auf die Fakten konzentrieren müssen, so muss auch das Gericht ohne Rücksicht auf die Gefühle von Journalisten und Hinterbliebenen urteilen.» Die Beweise seien eben nicht eindeutig genug gewesen, meint Soltesz. Mit Blick auf die erwartete Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil fügt er hinzu: «Noch ist aber nichts entschieden.»