Kirchen-Finanzskandal: Vatikan verurteilt Kardinal zu Haftstrafe
Im grossen Vatikan-Finanzprozess um fragwürdige Millionendeals ist erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche ein Kardinal von einem Gericht des Kirchenstaates zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Der Vatikan-Gerichtshof verhängte am Samstag gegen den italienischen Kardinal Angelo Becciu wegen seiner Verwicklungen in einen Finanzskandal sowie verlustreiche Immobiliendeals eine Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren sowie eine Geldstrafe von rund 8000 Euro. Es verhängte zudem das Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden.
Verurteilter kündigt Einspruch an
Beccius Anwaltsteam kündigte unmittelbar nach der Urteilsverkündung an, Einspruch einzulegen. Man respektiere zwar den Richterspruch, aber Becciu sei unschuldig, sagte Anwalt Fabio Viglione.
Gemeinsam mit dem 75-jährigen Kardinal waren neun weitere Menschen angeklagt. Nur einer wurde vollständig freigesprochen. Die anderen wurden ebenfalls zu Haftstrafen zwischen drei Jahren und neun Monaten und sieben Jahren und sechs Monaten sowie Geldstrafen verurteilt.
Jahrelanger Prozess
Der Strafprozess zählt zu den bislang grössten im Vatikan. Erstmals stand ein hochrangiger Kardinal als Angeklagter vor dem Gericht, der dann letztlich auch verurteilt wurde. Der Vorsitzende Richter Giuseppe Pignatone bezeichnete den Prozess vor der Urteilsverkündung als «sicherlich ungewöhnlich».
Der Mammutprozess dauerte mehr als zwei Jahre. Für ihn musste sogar ein Raum in den Vatikanischen Museen zu einem Gerichtssaal umfunktioniert werden.
Verlust in dreistelliger Millionenhöhe
In dem Prozess ging es im Kern um den verlustreichen Kauf einer Luxusimmobilie im Londoner Stadtteil Chelsea durch das vatikanische Staatssekretariat, in dem Becciu mehrere Jahre ein wichtiger Abteilungsleiter war.
Der Vatikan wollte das Gebäude wohl kaufen, um es gewinnbringend weiter zu veräussern. Der Deal ging schief, weil der Vatikan mehr Geld investierte als geplant. Am Ende stand ein Verlust in dreistelliger Millionenhöhe.
Die Ermittlungen rund um den fragwürdigen Millionendeal in London deckten weitere krumme Geschäfte und Machenschaften im Vatikan auf. Die vatikanische Strafverfolgung um Alessandro Diddi warf dem italienischen Kirchenmann und neun weiteren Angeklagten Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Korruption, Veruntreuung und Amtsmissbrauch vor.
Amnestie durch den Papst?
Das Gericht blieb mit seinen Urteilen unter den von der Anklage geforderten Strafen. Für Becciu forderte Diddi zum Beispiel sieben Jahre und drei Monate Haft sowie eine Geldstrafe von mehr als 10 000 Euro.
Ob und wann der Kardinal aus Sardinien wirklich ins Gefängnis muss, ist allerdings unklar. Die Bemühungen seiner Anwälte auf Berufung sind Vatikan-Beobachtern zufolge nicht aussichtslos. Möglicherweise könnte gar der Papst als Souverän des kleinsten Staates der Erde, der Legislative, Exekutive und Judikative in sich vereint, eine Amnestie erlassen.
Auch logistisch könnte sich die Verbüssung der Haftstrafe als schwierig erweisen: Medienberichten zufolge gibt es im Vatikan viel zu wenig Gefängniszellen für alle Verurteilten.
Verurteilter galt als Anwärter auf Heiligen Stuhl
Der Prozess sorgte für einen massiven Imageschaden im Kirchenstaat. In Folge der Vorwürfe verlor Becciu seine Rechte als Kardinal und hätte damit auch bei einer Papstwahl (Konklave) nicht dabei sein dürfen.
Allerdings durfte Becciu, der einst selbst als «papàbile», also als möglicher Anwärter auf das Papstamt, galt, sich weiter Kardinal nennen. Der Papst zog ihn damals zudem von der Position des Leiters der Behörde für Heilig- und Seligsprechungsprozesse ab.
Papst Franziskus und die Verwaltung des Vatikans zogen aus dem Immobilienskandal Konsequenzen. Der Pontifex ordnete die Zuständigkeiten in der Kurie neu. Er entzog dem mächtigen Staatssekretariat und anderen Behörden des Heiligen Stuhls die Verfügungsgewalt über Vermögenswerte. Diese obliegt nun der vatikanischen Güterverwaltung (Apsa) sowie der Vatikanbank IOR.