Streit ums Geld: Nächtliches Ringen im Kanzleramt
Woche um Woche, Tag um Tag, Stunde um Stunde: Das Tauziehen um den Haushalt ist langwierig. Kanzler Scholz, Vizekanzler Habeck und Finanzminister Lindner setzen es auch in der Nacht fort.
Die Spitzen der Bundesregierung haben ihr stundenlanges Ringen um den neuen Bundeshaushalt über Mitternacht hinaus fortgesetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kamen dazu bereits am Donnerstagnachmittag gegen 15.00 Uhr im Kanzleramt zusammen. Zunächst wurde weiter keine Einigung in dem bereits seit Monaten andauernden Tauziehen um den Haushaltsplan fürs kommende Jahr bekannt.
Allerdings gibt es einen vorläufigen Zielpunkt: Um 7.00 Uhr kommen die Fraktionen von SPD und Grünen zu Sondersitzungen zusammen, um sich über den Stand der Beratungen informieren zu lassen. Daran dürften auch Scholz und Habeck teilnehmen. Bei der FDP soll es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur zur selben Zeit eine digitale Unterrichtung der Abgeordneten geben.
Wer Druck macht – und wer ihn abzuwehren sucht
Die SPD war mit der Ankündigung ihrer Fraktionssitzung vorgeprescht und hatte den Druck auf die drei Unterhändler und ihr Team damit noch erhöht. Sie will am letzten Tag vor der parlamentarischen Sommerpause Klarheit haben, womit sie sich nach den Ferien ab dem 10. September befassen muss. Denn am Ende entscheidet nicht die Bundesregierung, sondern der Bundestag über den Haushalt – üblicherweise im November oder Dezember.
Die FDP hat auch klargemacht, dass sie sich in den Verhandlungen nicht unter Druck setzen lassen will. «Wir müssen sorgfältig beraten. Es geht um die Stabilität unserer Staatsfinanzen in einer unruhigen Weltlage», sagte FDP-Chef Lindner der Deutschen Presse-Agentur.
Worüber gestritten wird
Der Streit war so eskaliert, weil infolge der schwierigen Wirtschaftslage viele Milliarden Euro Steuereinnahmen fehlen, um alle Ausgabenwünsche der Ministerien zu finanzieren. Immer wieder sass die Dreierrunde deshalb zusammen. Am Abend war dann die Rede von einer Lücke von immer noch rund 10 Milliarden Euro, die geschlossen werden müsse.
Vor allem die SPD dringt mit Blick auf finanzielle Belastungen durch den Ukraine-Krieg darauf, die Schuldenbremse erneut auszusetzen, um mehr Spielraum für Investitionen zu haben. Für Lindners FDP kommt das nicht infrage. Die SPD lehnt die von ihm favorisierten Kürzungen im Sozialetat aber ab – auch wenn er nicht von Kürzungen, sondern einer Beschneidung des weiteren Anstiegs spricht. Verhandelt wird ausserdem über ein Massnahmenpaket, um die schwache Konjunktur in Schwung zu bringen.
Wie die Sekundanten argumentieren
Unterorganisationen der jeweiligen Koalitionsparteien trommelten über die Medien noch einmal für ihre Positionen – und dafür, dass ihre Chef-Unterhändler den anderen bei der Kompromisssuche nicht zu weit entgegenkommen. Ebenso werben Sozialverbände und Wirtschaft weiterhin für ihre Sichtweisen.
- Jusos und Grüne Jugend: «Ein Sparhaushalt in der aktuellen Situation ist brandgefährlich», mahnte der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation, Philipp Türmer, im «Stern». Es müsse etwa für ausreichend Wohnraum, gute Schulen und eine zuverlässige Bahn ordentlich Geld ausgegeben werden, anders gehe es nicht. Seine Grünen-Kollegin Svenja Appuhn verlangte im selben Magazin: «Die Grünen dürfen dieser Haushaltseinigung nicht zustimmen, wenn Einsparungen wieder auf dem Rücken der Schwächsten und Ärmsten getätigt werden.»
- Jungliberale und Junge Union: Der Nachwuchs des Koalitionspartners FDP und der oppositionellen Union stemmen sich dagegen. «Setzen Sie sich bei den Haushaltsverhandlungen vehement für den Erhalt der Schuldenbremse ein und zeigen Sie den Mut, klare Prioritäten zu setzen», heisst es in einem unter anderem von Juli-Chefin Franziska Brandmann und JU-Chef Johannes Winkel gezeichneten Schreiben an die drei Chef-Unterhändler, über das der «Spiegel» berichtet. «Unsere Zukunft und die Zukunft kommender Generationen leben davon.»
- Sozialverbände: Sie warnen vor Kürzungen im Sozialbereich. «Das würde die Spaltung der Gesellschaft nur befeuern, und wozu das führen kann, sehen wir gerade bei den Wahlergebnissen in Frankreich», sagte die SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. VdK-Präsidentin Verena Bentele sekundierte: «Viele Menschen sind unzufrieden und verunsichert. Kürzungen im Sozialbereich würden nur weiter Öl ins Feuer giessen.»
- Wirtschaft: «Mehr Geld bekommen wir über Wachstum in die Staatskasse, nicht über Schulden oder über noch höhere Belastungen gerade auch für die Wirtschaft», sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, den Funke-Zeitungen. «Derzeit stimmen die Rahmenbedingungen in Deutschland nicht: zu hohe Kosten, zu viel Bürokratie, zu lange und analoge Verfahren mit veralteter Infrastruktur.» Nötig seien daher strukturelle Reformen.
Was der Zuschauer sagt
Der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, zeigte sich skeptisch. «Ich sehe überhaupt nicht, dass da eine Einigung in Sicht ist. Und deswegen: Es ist eher zu erwarten, dass es noch schlimmer wird, als dass es irgendwie besser wird», sagte er dem Fernsehsender Welt.