Ukraine-Krieg: «Die Russen haben in Cherson alles vermint»
Die russischen Truppen haben sich im Ukraine-Krieg aus Cherson zurückgezogen. Sie hinterlassen zerstörte Infrastruktur und eine erleichterte Bevölkerung.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Rückzug der Russen aus Cherson ist für die Anwohnenden eine Erlösung.
- Sie waren monatelang «wie im Gefängnis», sagt eine Lehrerin aus Cherson.
- Das Gebiet rund um die Stadt ist zudem sehr stark vermint und hochgefährlich.
Cherson wurde lange umkämpft, jetzt ist die Stadt wieder in ukrainischen Händen. Am 12. November zogen sich die russischen Truppen, die über acht Montage lang Cherson besetzten, zurück.
Gegenüber dem «Spiegel» schildert Olga Fedorova das Leben in Cherson unter russischer Besetzung. Die Russen hatten die Internetverbindung vor einiger Zeit für die lokale Bevölkerung gekappt. So kam die Ankunft der ukrainischen Armee als schöne Überraschung.
«Wir sahen, wie die Flagge von unseren Leuten gehisst wurde», sagt die Lehrerin und mimt die Bewegung. «Und wir haben nur geweint.» Sie könnten immer noch nicht glauben, dass die ukrainische Armee hier sei.
Die Armeeangehörigen wurden als Helden gefeiert, haben Autogramme verteilt und sich mit der Bevölkerung ablichten lassen. «Wir haben auf sie gewartet, die ganzen achteinhalb Monate», sagt Fedorova.
Smartphone macht im Ukraine-Krieg zur Zielscheibe
Als die Anwohnenden noch eine Internetverbindung hatten, verschickten sie in einer «Stadt-Gruppe» Bilder und Videos des Kriegs. Fedorova habe alles gesehen, die ersten Kämpfe auf der Antoniwka-Brücke, die Ankunft der russischen Panzer. Das Leben in Cherson habe sich danach «wie im Gefängnis» angefühlt, sagt die junge Frau.
Zwar hätten alle frei herumlaufen können – aber ohne Smartphone auf sich. «Sie haben gelesen, was du darauf gespeichert hast», erklärt Fedorova. Und dann konnten «sie dich einfach schnappen». Schon jetzt gibt es Hinweise auf Folter und Hinrichtungen in Cherson durch russische Truppen.
Dabei ist die Region um Cherson eine der wahrscheinlich gefährlichsten für die Zivilbevölkerung in der Ukraine. Es gibt Berichte von riesigen Minenfeldern auf dem Weg zur Stadt. Der «Guardian» schreibt von Antipanzer-Minen auf den zerstörten Zuggleisen: Während der Reparaturarbeiten nach dem russischen Rückzug verlor ein Bahnarbeiter seine Beine.
«Die Russen haben alles vermint»
Laut dem ukrainischen Minenräumerverband könnte die Region Cherson womöglich «die am stärksten verminte Region im Land» sein. Die Russen hätten viel Zeit gehabt, um ihren Rückzug und die Platzierung der Sprengstoffe zu planen.
Die Entschärfung könnte Monate dauern, vielleicht sogar Jahre, so mehrere Personen zum «Guardian». Ein Soldat ist fassungslos: «Die Russen haben alles vermint, was sie konnten. Wir finden immer wieder Minen.» Er habe so etwas noch nie gesehen.
Die ukrainischen Behörden unterstellen den Russen auch, illegale Schmetterlingsminen zu benützen. Deswegen befürchtet der Minenräumerverband auch, dass die Anzahl Minentote stark steigen könnte. Schon vor der russischen Invasion im Februar war die Ukraine auf dem fünften Platz der meisten zivilen Minentoten weltweit.