Ukraine-Krieg: Wichtige Antworten nach Prigoschins Putsch-Versuch
Nach dem abgebrochenen Kreml-Putsch der Wagner-Truppe lebt Chef Jewgeni Prigoschin im Exil. Wie geht es mit ihm und den Söldnern weiter? Experten ordnen ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hat sich nach Belarus zurückgezogen.
- Zuvor versuchte er, die russische Regierung mit einem Putsch zu stürzen.
- Nun lebe er ein gefährliches Leben, sagen Russland-Experten.
Russland stand am Samstagabend kurz vor einem Bürgerkrieg. Doch dann erkärte Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin seinen Kreml-Aufstand plötzlich für beendet. Er wolle ein Blutvergiessen verhindern.
Der Kreml teilte mit, das Strafverfahren gegen Prigoschin sei eingestellt worden und er dürfe nach Belarus ausreisen. Seither sind keine Bilder Prigoschins mehr aufgetaucht. Lediglich ein Audio wurde mittlerweile auf Telegram geteilt. Darin meldet sich der Wagner-Chef erstmals zu Wort.
Doch wie steht es um Prigoschin und seine Söldner? Schweizer Russland-Experten ordnen gegenüber Nau.ch ein.
Wie gefährlich ist das Exil für den Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin?
«Wenn ich Prigoschin wäre, würde ich mich doch mit starken Bodyguards umgeben», sagt Nicolas Hayoz, Osteuropa-Experte und Professor an der Universität Freiburg. Seines Lebens werde er nicht mehr sicher sein. «Putin wird ihm diesen Verrat nicht verzeihen», ist sich Hayoz sicher.
Auch Ulrich Schmid, Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen, sieht Prigoschin im Exil nicht in Sicherheit. «Es kann durchaus sein, dass es Anschläge auf sein Leben geben wird. Putin hat ihn ja als Verräter gebrandmarkt. Das ist im System Putin das schlimmste Verbrechen», so Schmid.
Aber der Milliardär Prigoschin werde wahrscheinlich einen Weg finden, sagt Nicolas Hayoz. «Er könnte sich in eine der Wagner-Basen in Afrika oder anderswo zurückziehen, wo die Wagner Armee sehr profitable Geschäfte gemacht hat.»
Bilder zeigen, wie beliebt Prigoschin beim Russen-Volk ist. Wird er Putin in Zukunft – auch aus dem Exil – noch gefährlicher?
Davon gehen weder Hayoz noch Schmid aus. «Prigoschin verfügt über keinen breiten Rückhalt in der Bevölkerung. In den Staatsmedien ist sein Name bis vor Kurzem kaum erwähnt worden», so Ulrich Schmid.
Auch innerhalb der Eliten und des Machtapparates Putins habe er keinen Rückhalt, sagt Hayoz: «Er ist trotz seiner Vernetzung mit dem System, mit Geheimdienst, Korruption usw. isoliert und so radikal und ein schlimmer Gewaltverbrecher, dass nur wenige mit ihm zu tun haben wollen.»
Anders sieht es hingegen der Militärstratege Albert A. Stahel. Für viele sei Prigoschin ein typischer Russe: brutal, direkt. Deshalb geniesse er in der Bevölkerung sowie in den Streitkräften grosse Sympathien. Er werde auch in Zukunft einen Einfluss auf die Politik Russlands ausüben, so Stahel.
Ist der Putsch der Wagner-Söldner komplett gescheitert oder könnte Prigoschin einen neuen Anlauf nehmen?
Prigoschin habe wohl sein politisches und militärisches Kapital verspielt, mutmasst Ulrich Schmid – und betont: «In der aktuellen Situation ist eine Neuformierung der Wagner-Gruppe unter seiner Führung kaum vorstellbar.»
Auch Hayoz hält fest, dass Prigoschin nun keine Machtbasis mehr habe. Und in Belarus ein zweiter Anlauf kaum denkbar.
Werden die Wagner-Söldner nun in die russische Armee integriert?
Das werde man versuchen, es werde wahrscheinlich aber nur zum Teil klappen, erklärt Nicolas Hayoz. Denn: «Viele werden das gar nicht tun wollen, weil sie sich als Truppe von Prigoschin sehen» Der Wagner-Boss habe mit seiner kriminellen Söldner-Armee eine sehr personalisierte Struktur aufgebaut. Ein «Putin System» im kleinen. «Da geht es um Loyalität gegenüber Personen, nicht um bürokratischen Regeln wie in einer normalen Armee.»
Putin oder Prigoschin: Wer ist aus aktueller Sicht der grösste Gewinner oder Verlierer?
Beide haben in den Augen von Ulrich Schmid verloren: Putins Autorität sei nach dem Aufstand nachhaltig beschädigt, Prigoschins Handlungsmöglichkeiten erheblich gesunken.
Aus der Sicht von Albert Stahel ist Putin der Verlierer. «Aber vorderhand würde ich Prigoschin noch nicht als Sieger bezeichnen».
Für Hayoz ist klar, dass es für Putin «eine grosse Demütigung» war, dass er Prigoschin ins Exil musste laufen lassen. Doch Prigoschin seinerseits solle sich dort besser nicht zu sehr auf seinen Freund Lukaschenko verlassen, betont der Osteuropa-Experte.