Nach erzwungener Flugzeug-Landung: Belarus droht der EU
Die EU hat nach der erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs erste Sanktionen gegen Minsk verhängt. Es drohen weitere. Nun hat sich in Belarus Machthaber Lukaschenko zu Wort gemeldet.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach der Zwangslandung eines Passagierflugzeugs und Festnahme eines regierungskritischen Bloggers in Minsk droht Belarus seinerseits mit Sanktionen gegen die EU.
«Wir werden nicht schweigen und niederknien», sagte Machthaber Alexander Lukaschenko am Mittwoch im Parlament in der Hauptstadt Minsk. Der 66-Jährige liess in seiner vom Staatsfernsehen übertragenen Rede aber offen, welche Strafmassnahmen genau kommen sollen. Die EU will Diplomaten zufolge mit ihren geplanten neuen Sanktionen unter anderem die für die Devisenbeschaffung von Belarus wichtige Kali-Industrie treffen. Die Opposition forderte einmal mehr ein hartes Durchgreifen der westlichen Länder gegen die autoritäre Führung in Minsk.
Lukaschenko äusserte sich erstmals nach der erzwungenen Landung am Sonntag und verteidigte zugleich das Vorgehen. «Ich habe rechtmässig gehandelt, indem ich die Menschen geschützt habe - nach allen internationalen Regeln», sagte er. Die Behörden hatten die Landung am Sonntag genutzt, um den Regierungskritiker Roman Protassewitsch am Flughafen festnehmen zu lassen. Den Blogger bezeichnete Lukaschenko als «Terroristen». Der 26-Jährige und seine Helfer hätten einen «blutigen Aufstand» in Belarus geplant, behauptete der Machthaber.
Die Behörden der autoritär regierten Republik hatten das Flugzeug der irischen Airline Ryanair auf dem Weg von Griechenland nach Litauen mit einem Kampfjet vom Typ MiG-29 zur Landung gebracht - angeblich wegen einer Bombendrohung. Die stellte sich später als Fehlalarm heraus. Mehr als 100 Menschen waren an Bord, darunter Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega. Beide wurden festgenommen.
Die EU hat wegen der Geschehnisse bereits neue Sanktionen gegen den Machtapparat in Belarus auf den Weg gebracht. Dazu gehört ein Flugverbot für Fluggesellschaften der früheren Sowjetrepublik. Nach Lukaschenkos Worten wurden damit «mehrere rote Linien überschritten». Regierungschef Roman Golowtschenko zufolge wird Belarus handeln. «Diese Massnahmen werden für die Länder, die eine offen feindselige Haltung eingenommen haben, ziemlich schmerzhaft sein.» Dazu zählten Beschränkungen beim Transit, sagte er, ohne Details zu nennen.
In Brüssel strebt man an, dass die geplanten Sanktionen gegen ausgewählte Wirtschaftszweige im Idealfall noch vor dem Sommer in Kraft treten. Unterschiedliche Interessen der EU-Staaten könnten allerdings auch noch zu Verzögerungen führen. So ist noch unklar, ob auch die Mineralölindustrie ins Visier genommen wird.
Offen ist Diplomaten zufolge auch, ab wann der Luftraum der EU für belarussische Fluggesellschaften komplett gesperrt wird. Die staatliche Fluglinie Belavia flog am Mittwoch etwa nach Frankfurt am Main und Rom, während eine andere Maschine mit Ziel Barcelona wieder nach Minsk umkehren musste, weil Frankreich laut Belavia keine Überfluggenehmigung erteilte.
Die Fluggesellschaft Air France berichtete von einem Flug von Paris nach Moskau, der «aus betrieblichen Gründen im Zusammenhang mit der Umgehung des belarussischen Luftraums» und der Erfordernis einer «neuen Genehmigung der russischen Behörden zur Einreise in ihr Hoheitsgebiet» gestrichen werden musste. Gleiches gelte für den Rückflug. Von russischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung.
Das Thema der Luftraumsperrungen erfordere noch Diskussionen unter den EU-Staaten, hiess es. Einzelne Mitgliedstaaten hätten aber bereits ihre nationalen Luftverkehrsabkommen mit Belarus annulliert. So sprach Polen am Abend ein entsprechendes Verbot aus. Mehrere Airlines wollen zudem ihre Maschinen nicht mehr über die Ex-Sowjetrepublik fliegen lassen.
Die Nato-Staaten stellten sich hinter die auf den Weg gebrachten neuen Sanktionen gegen das Land. «Die Nato-Verbündeten fordern Belarus auf, die grundlegenden Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten und die regelbasierte internationale Ordnung zu respektieren», hiess es in einer Erklärung des Nordatlantikrats. Er besteht aus Vertretern aller 30 Mitgliedstaaten und ist das wichtigste politische Entscheidungsgremium des westlichen Militärbündnisses.
Die Inhaftierung von Protassewitsch verurteilte der Nordatlantikrat als Affront gegen die Grundsätze der Pressefreiheit und das Recht auf politische Meinungsverschiedenheiten. Der Blogger und seine Partnerin müssten umgehend und bedingungslos freigelassen werden.
Zahlreiche derzeitige und frühere Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sprachen von einer «neuen und extrem gefährlichen Phase der Kampagne der Behörden von Belarus zur Unterdrückung des eigenen Volkes», wie es in einer Mitteilung der UN-Vertretung Estlands hiess, die von Deutschland, Frankreich, Irland, Belgien, Norwegen, Grossbritannien und den USA unterstützt wurde.
Zuvor hatten Estland, Irland und Norwegen das Thema am Rande einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats angesprochen. Eine gemeinsame Erklärung aller 15 Mitglieder des mächtigsten UN-Gremiums scheiterte aber unter anderem am Widerstand Russlands. Moskau hatte noch Stunden zuvor einmal mehr das verbündete Nachbarland verteidigt. Es gebe keinen Grund, an der von Minsk verbreiteten Version zu zweifeln, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge.
Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die gegen Lukaschenko bei der Präsidentenwahl im vergangenen August angetreten war und nun im Exil lebt, rief die EU zur Verabschiedung eines neuen Sanktionspakets auf. «Ich fordere das Europäische Parlament auf, dafür zu sorgen, dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft nicht auf den Vorfall mit dem Ryanair-Flug beschränkt wird», schrieb sie in ihrem Nachrichtenkanal bei Telegram.
Die EU will weitere Strafmassnahmen gegen Personen, Unternehmen und Organisationen beschliessen, die eine direkte Mitverantwortung für die Zwangslandung der Ryanair-Maschine und die Unterdrückung der Opposition in dem Land haben. Geplant seien mehrere Dutzend neue Einträge in die EU-Sanktionsliste, hiess es am Mittwoch. Der notwendige Beschluss dafür könne beim Aussenministertreffen am 21. Juni getroffen werden.