Weizen wird wegen Ukraine-Krieg immer knapper und teurer
Weizen ist wegen des Ukrainekriegs auf den Weltmärkten ein knappes Gut. Er kostet daher so viel wie noch nie. Besserung ist nicht in Sicht - mit verheerenden Folgen für die Armen dieser Welt.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Klimawandel mit verheerenden Dürren sowie Versorgungsengpässe durch die Pandemie drohten bereits 2021 Millionen Menschen in den Hunger zu stürzen.
David Beasley, der Chef des UN-Welternährungsprogramms, warnte daher vor der grössten humanitären Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch jetzt ist es noch schlimmer gekommen.
Denn mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine fällt eine der Kornkammern der Welt aus. Experten und Politiker warnen vor Hunger in vielen Teilen der Welt.
Wie knapp der Weizen auf den Märkten geworden ist, zeigt der Preis. Im europäischen Handel an der Börse Euronext in Paris kostet eine Tonne Weizen derzeit rund 397 Euro (Stand Dienstagmorgen). Im Mai mussten teilweise gar Preise von fast 440 Euro auf den Tisch gelegt werden. Zum Vergleich: Vor einem Jahr lag der Preis noch bei bloss 215 Euro.
Wegen ihrer fruchtbaren Böden ist die Ukraine einer der wichtigsten Weizenexporteure weltweit. Hinzu kommen hohe Weltmarktanteile bei Gerste, Mais und Sonnenblumenöl. Laut Uno-Angaben wurden in dem Land allein 2020 knapp 25 Millionen Tonnen Weizen geerntet.
Zusammen produzieren die Ukraine und Russland einer Studie zufolge 12 Prozent der weltweit gehandelten Kalorien. Ein Grossteil davon droht nun auszufallen. Denn viel ukrainisches Getreide wird über die Schwarzmeerhäfen verschifft. Weizen ging von dort im vergangenen Jahr etwa nach Ägypten, Tunesien oder Marokko.
Alternativen zum eigenen Seetransport hat die Ukraine de facto keine. Millionen Tonnen Korn mit Güterzügen zu exportieren und zum Weitertransport in Häfen anderer Staaten zu schaffen ist viel zu teuer. Ausserdem fehlt die entsprechende Infrastruktur.
Doch die Häfen, allen voran Odessa, werden jetzt von den russischen Streitkräften blockiert. Die Kiewer Führung traut dabei aktuellen Moskauer Zusagen einer sicheren Passage von Schiffen aus der Ukraine durch das Schwarze Meer nicht.
In früheren Äusserungen hat der Kreml ein Ende der Getreideblockade mit der Aufhebung von Sanktionen gegen Russland verknüpft. Ausserdem beschuldigt Russland den Westen, mit seinen Sanktionen auch russische Weizenexporte zu verhindern, was armen Nationen schade.
Weil russische Frachtschiffe mit Sanktionen belegt seien, könnten diese kein Getreide exportieren, sagte der russische Aussenminister Sergej Lawrow. Der Westen behaupte zwar, dass Lebensmittel nicht mit Sanktionen belegt seien, verschweige aber zugleich, dass sie nicht transportiert werden könnten.
Aussenminister Lawrow soll nun am kommenden Mittwoch mit der türkischen Führung über eine Ausfuhr von ukrainischem Getreide sprechen. Dazu sollen die Minen vor der ukrainischen Schwarzmeerküste entschärft werden. Türkische Spezialisten sollen dabei helfen.
Ukrainische Politiker warnten allerdings vor einem solchen «Kuhhandel». Würde der Minengürtel vor dem Hafen entfernt, wäre Odessa ungeschützt, sagte der Bürgermeister der Hafenstadt am Wochenende. «Das ist die Chance, auf die Putin wartet. Er lügt. Ich glaube ihm kein Wort.»
Ausserdem warnten die USA davor, dass der Kreml derzeit von den hohen Getreidepreisen zu profitieren versuche, indem er in der Ukraine gestohlenen Weizen verkaufen wolle. Für ukrainische Politiker ein weiterer Grund, dem Feind aus Moskau bei seinen Ausführungen nicht zu trauen.
Das argumentative Hin und Her sowie das grosse Misstrauen zwischen den beiden Seiten zeigt: eine baldige Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine auf dem Seeweg erscheint unrealistisch. Die Versorgung der Weltmärkte mit ukrainischem Weizen dürfte dieses Jahr somit knapp bleiben.
Entsprechend werden die Preise für Weizen auf dem Weltmarkt nicht so bald wieder sinken. Gemäss Schätzungen von Experten dürfte sich der Preis für Weizen - je nach Ernte und Kriegsentwicklung - erst in den Jahren 2023 oder 2024 normalisieren.
Für die Armen der Welt dürfte die Knappheit und die damit verbundenen Preissteigerungen fatale Folgen haben. Anfang Juni hat bereits das zentralafrikanische Tschad einen Ernährungsnotstand ausgerufen. Die Lebensmittelsituation habe sich seit Jahresanfang extrem verschlechtert, teilte die Regierung mit.
Der Tschad ist eines von vielen Ländern in der Sahelzone, dem eine Hungerkrise bevorsteht. Das Horn von Afrika, vor allem Äthiopien, Kenia, Sudan und Somalia, ist mit der schlimmsten Trockenheit seit 40 Jahren konfrontiert. Nach Angaben von Hilfsorganisationen könnten in der gesamten Sahelregion bald 60 Millionen Menschen hungern.