Wie realistisch ist ein Angriff Serbiens auf den Kosovo?
Der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo droht zu eskalieren. Ein Experte befürchtet einen Angriff Serbiens trotz Nato-Präsenz – als «Flucht nach vorne».
Das Wichtigste in Kürze
- Droht ein Angriff Serbiens auf den Nordkosovo?
- Eine Eskalation des Konflikts sei «nicht mehr völlig auszuschliessen», sagt ein Experte.
- Seit sich der Kosovo 1999 von Serbien abspaltete, kommt es immer wieder zu Vorfällen.
Das Verhältnis zwischen Serbien und dem Kosovo ist seit Jahren angespannt. Seitdem in der Nacht zum 24. September ein schwer bewaffnetes Kampfkommando in den serbisch bewohnten Norden des Kosovos eingedrungen war, spitzt sich der Konflikt weiter zu.
Die US-Regierung vermeldete kürzlich einen «grossen» serbischen Militäraufmarsch an der Grenze zum Kosovo. Aus drei verschiedenen Richtungen seien Einheiten aufmarschiert, so die kosovarische Regierung. Droht nun eine Eskalation?
KFOR-Truppen «abschreckend»
Gut möglich. «Inzwischen ist ein Angriff keineswegs mehr völlig auszuschliessen», sagt der deutsche Osteuropa-Experte Konrad Clewing zu Nau.ch. Bislang habe er dies für eher unwahrscheinlich gehalten, da «die von der NATO geführten KFOR-Truppen hinreichend abschreckend sein sollten».
Der Vorfall beim Kloster von Banjska, bei dem ein Polizist getötet und zwei weitere verletzt wurden, bewogen den Forscher des Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg (D) aber dazu, seine Meinung zu ändern: «Serbiens Führung ist höchstwahrscheinlich tief verstrickt in den paramilitärischen Gewaltakt. Dieser sollte offenkundig die Gesamtlage eskalieren, um ein späteres staatliches serbisches Eingreifen zu rechtfertigen», erklärt er.
Besonders die Tatsache, dass es für die Verstrickung der Regierung konkrete Indizien gebe, könnte zu einer «gravierenden Verschärfung» der Politik führen. «Da könnte ein serbischer Angriff auf Nordkosovo als eine geeignete Option zur Flucht nach vorn erscheinen», so Clewing.
Kosovo trennte sich 1999 von Serbien
Der Experte ordnet ein: «Serbien will seit langem die Ergebnisse des verlorenen Krieges von 1998/99 zu Kosovo ganz oder teilweise rückgängig machen.» Das heute fast ausschliesslich von Albanern bewohnte Kosovo hatte sich damals mit Nato-Hilfe von Serbien abgespalten und 2008 für unabhängig erklärt. Mehr als 100 Länder erkennen die Unabhängigkeit an, nicht aber Serbien, das seine einstige Provinz zurückfordert.
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic bestritt bereits am Sonntag die Vorwürfe einer geplanten Eskalation. An einer Pressekonferenz am Montag erklärten hochrangige serbische Offizielle, die Zahl der Truppen an der Grenze sei halbiert worden.
Reporter der Nachrichtenagentur AP berichteten am Sonntag aus dem Grenzgebiet, sie hätten serbische Militärfahrzeuge zurück ins Landesinnere wegfahren sehen. Eine Bestätigung der Regierung gab es aber bisher nicht.