Ist Boris Johnsons Brexit wirklich so rosig wie er glaubt?
Das Wichtigste in Kürze
- In der Nacht auf Samstag verlässt Grossbritannien die Europäische Union endgültig.
- Premierminister Boris Johnson sieht den Brexit völlig positiv.
- Doch nicht alles dürfte so einfach sein, wie es sich der Premier vorstellt.
In der Nacht auf Samstag wird Grossbritannien die Europäische Union verlassen. Damit wird der Brexit Tatsache. Der britische Premier Boris Johnson hat sich hierfür einem «Autocomplete-Interview» gestellt. Das heisst, er beantwortet die auf Google meistgestellten Fragen auf seine Art.
Doch wieviel Wahrheit steckt in Johnsons Antworten? Wir ordnen ein:
Frage: Ist Boris Johnson für oder gegen Brexit?
Johnson: Boris Johnson ist für Brexit!
Nau.ch: Das ist wohl so.
Geschieht Brexit am Freitag?
Johnson: Der Brexit geschieht am Freitag definitiv! Am 31. um 11 Uhr (britische Zeit).
Nau.ch: Politisch gesehen verlassen die Briten Grossbritannien. Heisst: Sie verlieren innerhalb der EU ihr Mitspracherecht. Wirtschaftlich gesehen verbleibt Grossbritannien im Binnenmarkt und in der Zollunion der EU bis Ende Jahr die Übergangsfrist abläuft. Bis da hin soll das künftige Verhältnis zueinander ausgehandelt werden. Pläne will Johnson im Februar vorlegen.
Der Premier will die Übergangsfrist keinesfalls verlängern. Dass bis Ende 2020 der Austritt komplett geregelt ist, gilt als sehr ambitioniert. Ein ungeordneter Brexit ist nicht vom Tisch.
Wird Brexit meine Ferien behindern?
Johnson: Nein, auf keinen Fall, Sie werden fantastische Ferien haben.
Nau.ch: Die Ferienpläne bis zum 31. Dezember 2020 werden nicht beeinträchtigt. Die geltenden Regeln der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU gelten für Grossbritannien nach wie vor. Für Schweizer Reisende heisst das, dass weiterhin die Identitätskarte für Reisen nach Grossbritannien ausreicht. Was nach dem Stichtag passiert, ist noch nicht klar.
Möglicherweise akzeptiere Grossbritannien nach 2020 keine nationalen Ausweise von EWR- und Schweizer Bürgern mehr, heisst es auf der offiziellen Regierungsseite.
Das britische Pfund ist im Vergleich zum Schweizer Franken etwas gefallen. Das Reisen nach Grossbritannien dürfte deshalb etwas günstiger ausfallen.
Läuft der britische Pass wegen Brexit ab?
Johnson: Nein! Aber sie werden einen «schönen» neuen blauen Pass bekommen.
Nau.ch: Tatsächlich, der britische Pass wird wieder blau. Bis Mitte 2020 sollen nur noch blaue Pässe ausgestellt werden. Der alte burgunderfarbene Pass bleibt bis mindestens Ende 2020 als EU-Reisedokument gültig. Danach wird der Pass gültig bleiben, die Rechte der EU-Mitgliedschaft entfallen jedoch. Der letzte britische EU-Pass läuft Anfang 2030 ab.
Wird Brexit den Bauern helfen?
Johnson: In vielerlei Hinsicht: Wir werden die Bürokratie verringern können, neue Märkte für Grossbritannien in Übersee erschliessen für britische Produkte erschliessen.
Nau.ch: Der britische Bauernverband NFU hat für März zu einer Gross-Demo in London aufgerufen. Die Bauern fordern, dass die britische Landwirtschaft nicht dem Freihandel geopfert wird. Die Standards der britischen Landwirtschaft müssten bei zukünftigen Handelsabkommen gewahrt werden. Für den NFU ist zudem klar, dass es keinen ungeregelten Austritt geben darf.
Einer BBC-Studie prognostiziert bei einem geregelten Ausstieg eine Rentabilitätsminderung der Landwirtschaft von rund drei Prozent. Bei einem Brexit ohne Abkommen würde der Verlust weitaus grösser ausfallen, so die Studie. Es hängt also vieles davon ab, was für ein Deal in den kommenden elf Monaten mit der EU ausgehandelt wird.
Ist Boris Johnson mehrsprachig?
Johnson: Bien sûr, chef! Aber klar doch, Chef.
Nau.ch: Johnson lernte Latein und spricht fliessend französisch und italienisch. Der Premier soll zudem deutsch und spanisch beherrschen.
Hilft Brexit den britischen Unternehmen zu exportieren?
Johnson: Klar, weil wir werden fantastische Freihandelsverträge mit Ländern auf der ganzen Welt abschliessen. Es ist eine grosse Chance für Grossbritannien, um globaler zu sein.
Nau.ch: Das Problem für die britische Wirtschaft war die anhaltende Ungewissheit der letzten drei Jahre. Nun ist klar, dass die britische Regierung bereits Abkommen mit Drittstaaten im Handelsbereich abschliessen darf. Insofern diese erst nach der Übergangsphase in Kraft treten. Zudem wird mit der EU eine Vereinbarung «ohne Zölle, Gebühren, Abgaben oder Beschränkungen» angestrebt. Das dürfte die britischen Unternehmen tatsächlich beruhigen. Doch vieles hängt vom Erfolg der Verhandlungen ab.
Wird Brexit den Fischern helfen?
Johnson: Ja! Brexit wird den Fischern helfen, weil wir die Kontrolle über unsere Küsten zurückerhalten. Wir werden den spektakulären Meeres-Reichtum von Grossbritannien nutzen.
Nau.ch: Das Fischereirecht steht ganz oben auf der Agenda bei den Verhandlungen für die zukünftigen Beziehungen. Die EU will die Fischerei möglichst bis zum 1. Juli geklärt haben. Grund: Rund 60 Prozent des Fischs in britischen Gewässern wird von Booten aus EU-Staaten gefangen. Auf der anderen Seite wird mehr als 70 Prozent des Fangs britischer Boote in die EU exportiert.
Beide Seiten haben also ein Interesse daran, sich beim Thema Fischerei zu einigen. Ansonsten könnte es zu neuen Auseinandersetzungen auf See kommen.
Wird Brexit die Souveränität zurückbringen?
Johnson: Absolut – Im Sinne, dass der Brexit bedeutet, dass wir die Kontrolle über unser gesamtes Rechtssystem zurückbekommen. Wir werden in der Lage sein, im besten Interesse der britischen Bürger und Unternehmen Gesetze zu erlassen und zu regulieren.
Nau.ch: Grossbritannien erhofft sich einen freien Handel mit der EU ohne Zölle und Kontrollen. Die EU dürfte dazu aber nur bereit sein, wenn sich London künftig auch an gewisse EU-Standards und -Regulierungen hält. Die Souveränität der Briten wird also davon abhängen, inwieweit London bereit ist, seine Handelsvorteile aufs Spiel zu setzen.
Wird Brexit ausländische Studenten verhindern?
Johnson: Nein! Das bedeutet, dass sich das Vereinigte Königreich weiterhin an fantastischen Programmen beteiligen wird. Unsere Studenten werden weiterhin in anderen europäische Länder studieren. Und natürlich werden wir auch ausländische Studenten kommen lassen.
Nau.ch: Bis zum 31. Dezember wird sich auch für Studierende nichts ändern. Danach ist je nach Abkommen für einen längeren Aufenthalt eine Aufenthaltsgenehmigung nötig. Wer bis September 2020 ein Studium anfängt, darf es auch in Grossbritannien beenden.
Vieles hängt auch hier vom Erfolg der Verhandlungen beider Seiten ab.