Experte kritisiert Behörden wegen Jagd auf Abfallsünder
«Pingelig» und «typisch Bünzli» sind nur zwei Reaktionen auf Berichte über das rabiate Vorgehen gegen Abfallsünder. Auch von Experten gibt es Kritik.
Das Wichtigste in Kürze
- Bürger kritisieren pingelige Strafen für illegale Abfallentsorgung.
- Ein Experte rät Gemeinden, im Einzelfall Nachsicht zu zeigen.
- Gemeinden sollen Regeln durchsetzen, aber auch auf Augenhöhe agieren.
300 Franken sollte eine Frau bezahlen, weil sie einen Abfallsack falsch deponierte. Beim Vorfall im Sommer 2023 war die Hauptsammelstelle in Dübendorf ZH wegen eines Betriebsausfluges geschlossen. Also legte die Frau den Sack vor dem Tor ab.
Am nächsten Tag wurde die Abfallsünderin sogleich identifiziert. Doch sie wehrte sich gegen den Unkostenbeitrag – mit Erfolg. Der Bezirksrat und das Verwaltungsgericht gaben der Frau recht, die 300 Franken seien nicht angebracht.
Pingelige Justizbeschäftigung?
Vorfälle wie diese sorgen für Kritik. Adrian Ritz, Professor für Public Management an der Universität Bern und Experte dafür, wie man die öffentliche Verwaltung effizienter gestaltet.
Er sagt zu Nau.ch: Im Fall von Dübendorf hätte man sich den Instanzenweg bis zum Verwaltungsgericht sparen können. «Wenn die Gemeinde hier mit mehr Augenmass gehandelt hätte.»
Die Justiz habe diesen Fall zwar effizient behandelt. «Doch der Fall sollte gar nicht erst vor die Justiz kommen, wenn die Gemeindebehörde situationsangemessen reagiert hätte.»
Bürger finden Verfolgung von Abfallsündern «pingelig» und «Bünzli»
Vermeintliche Abfallsünder und der Umgang der Justiz mit ihnen sorgt immer wieder für Stirnrunzeln. Ein Zürcher Expat musste Anfang Jahr 220 Franken zahlen.
Sein Vergehen: Er hat laut eigenen Angaben eine Kartonschachtel zur falschen Zeit in einem Zürcher Abfalleimer deponiert.
67 Prozent der Nau.ch-Leser fanden das damals zu «pingelig». «Typisch Zürcher Bünzli», schrieben sie.
Oder: «Ich bin Schweizer und muss (leider) sagen, dass ich mich für die Schweizer Behörden schäme.» Das sei «absolut kleinlich».
«Staat soll dem Bürger nicht mehr Lasten auferlegen als notwendig»
Public-Management-Experte Adrian Ritz sagt generell zum Umgang von Gemeinden mit illegaler Abfallentsorgung: «Gemeinden haben in ihrem Verwaltungshandeln Spielraum. Grundsätzlich muss die Abfallentsorgung ordnungsgemäss funktionieren und hierfür ist die Gemeinde vom Bürger beauftragt.»
Aber: «Es gibt nicht nur den Rechtsparagrafen, mit dem sich alle Probleme lösen und im besten Fall noch Bürger ‹erziehen› lassen.» Stattdessen sollte das generell-abstrakte Recht in der konkreten Situation «vernünftig» angewandt werden.
Im Fall von Dübendorf ZH stelle sich die Frage, ob man überhaupt hätte reagieren müssen. Oder: «Ob nicht eine abgemilderte Reaktion im Sinne eines Schreibens mit dem Hinweis, dass dies generell nicht erlaubt sei, genügt hätte.»
Ritz mahnt: «Der Staat soll dem Bürger nicht mehr Lasten auferlegen als notwendig. Sonst leidet das Vertrauen des Bürgers in Politik und Verwaltung.»
Gemeinden sollen Bürger nicht erziehen
Grundsätzlich sei Bürgerorientierung ein «zentrales Gebot, aber auch ein schmaler Grat». Bei einem Wiederholungsfall könne man beispielsweise kein Auge mehr zudrücken. «Weil sonst könnten sich andere Bürger verschaukelt vorkommen, die sich an die Regeln halten.»
«Gemeinden müssen illegale Abfallentsorgung bekämpfen und hierfür effektive Regeln aufstellen», sagt Ritz. «Gleichzeitig gilt es den Bürgern, auf Augenhöhe zu begegnen. Und sie nicht zu bevormunden, erziehen oder im schlimmsten Fall zu schikanieren.»
Der Glarner Ständerat Mathias Zopfi (Grüne) ist Präsident des Schweizer Gemeindeverband. Der Vorwurf, Gemeinden seien zu pingelig und würden Bürgerinnen und Bürger schikanieren, ist ihm zu allgemein.
«Es gibt solche Beispiele. Aber von den vielen anderen lesen wir eben nicht», so Zopfi. Er bestätigt: «Die Gemeinden müssen den Spagat zwischen Durchsetzung von Regeln für alle und pragmatischer Umsetzung schaffen.»
Illegale Abfallentsorgung «kein Kavaliersdelikt»
Mathias Zopfi betont: «Illegale Abfallentsorgung ist kein Kavaliersdelikt.» Die Gemeinden sorgen dafür, dass die Abfallentsorgung zuverlässig funktioniert. «Damit das so bleibt, braucht es Regeln.»
Aber: «Man sollte in Fällen, wo klar keine schlechte Absicht dahintersteckt, auch Augenmass walten lassen.» Das Verhältnismässigkeitsprinzip sei ein Grundsatz des Rechts – die Gemeinden hätten Spielraum für Kulanz.
Sein Rat, um das Verständnis auf beiden Seiten zu verbessern? «Der Schlüssel ist verständliche Kommunikation», sagt er. Und: «Je einfacher und nachvollziehbarer die Regeln, desto eher werden sie verstanden und befolgt.»