Greta Thunberg jubelt über Klima-Urteil gegen Schweiz
Das Klima-Urteil sorgt für gemischte Reaktionen: Einige sprechen von einem «historischen Sieg» – andere von einem «lächerlichen Urteil». Greta Thunberg jubelt.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Europäische Gerichtshof ist heute auf die Beschwerde der Klimaseniorinnen eingetreten.
- In Bern sorgt das für gemischte Reaktionen: Einige sprechen von einem «historischen Sieg».
- Bürgerliche wiederum bezeichnen das «politische» Urteil als «lächerlich» und gefährlich.
- Klimaaktivistin Greta Thunberg jubelt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist auf die Beschwerde der Klimaseniorinnen eingetreten. Das Gericht hat eine Verletzung der Menschenrechtskonvention festgestellt.
Der europäische Menschengerichtshof hat sich zuvor noch nie explizit zur Verantwortung von Staaten für Massnahmen gegen die Klimakrise geäussert. Der Entscheid könnte weitreichende Auswirkungen für die Schweiz entfalten: Die Reaktionen in Bundesbern fallen vielseitig aus.
«Ohrfeige für den Bundesrat» oder «lächerliches Urteil»?
Für die SP steht fest: «Dieses Urteil des höchsten europäischen Gerichts ist eine Ohrfeige für den Bundesrat.» So liess sich Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP Schweiz, in einer Mitteilung zitieren.
«Der Klimaschutz und eine sichere Energieversorgung sind die grössten Aufgaben unserer Generationen. Wir müssen den ökologischen Umbau der Schweiz mit öffentlichen Investitionen vorantreiben.»
Die Partei verlangte in der Mitteilung erneut zusätzliche öffentliche Investitionen für das Gelingen der Energie- und Klimawende. Sie kritisierte die Landesregierung für ihre Untätigkeit.
Andere Töne stimmen bürgerliche Politiker an: SVP-Nationalrat Mike Egger (SG) bezeichnet das EGMR-Urteil auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA als «lächerlich».
Es sei immer gefährlich, wenn Gerichte Politik machten, erklärt der SVP-Nationalrat. Die Schweiz mache gute Umweltpolitik und investiere jedes Jahr Milliarden von Franken – mit Erfolg.
«Wir haben uns in vielen Punkten verbessert und den Treibhausgasausstoss pro Kopf und auch den Erdöl- und Stromverbrauch deutlich gesenkt». Dies bestätigten Zahlen des Bundes. Das Urteil aus Strassburg berücksichtige jedoch Aspekte wie die «massive Zuwanderung» in den vergangenen zwanzig Jahren nicht. Deshalb würden die in der Schweiz ergriffenen Massnahmen unterschätzt.
Austritt aus Europarat?
In einer Medienmitteilung geht die SVP Schweiz gar noch einen Schritt weiter: Das Strassburger Urteil sei «inakzeptabel» – die Schweiz müsse postwendend aus dem Europarat austreten: «In den europäischen Gerichtspalästen herrschen offensichtlich Ideologie und Realitätsverweigerung. Die Gerichte haben Recht zu sprechen und nicht Politik zu machen.»
«Völlig unverständlich» ist das Urteil für den Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Das Gericht verstehe die Schweizer Demokratie nicht. Dies sagte er mit Verweis auf das 2021 an der Urne abgelehnte revidierte und verschärfte CO2-Gesetz. Den Bundesrat allein für dieses Nein verantwortlich zu machen, sei «ein Witz».
Die Grünen fühlen sich bestätigt
Für die Grünen bedeutet das Urteil einen Paradigmenwechsel. Das Recht auf eine gesunde Umwelt sei gemäss dem Urteil ein Grundrecht, sagte Parteipräsidentin Lisa Mazzone.
Es sei das erste derartige Urteil für ein Land, sagte Mazzone am Dienstag in Bern vor den Medien. Es setze ein klares und verbindliches Ziel, lasse aber die Mittel offen, um dieses zu erreichen. Den Grünen reicht nicht, was im Klimaschutzgesetz steht, das vergangenes Jahr an der Urne angenommen wurde.
Die Grünen wollen neue Forderungen mit Vorstössen aufgreifen und in der Sommersession des eidgenössischen Parlaments eine Sondersession beantragen. Ausserdem verlangen sie bis in sechs Monaten einen Plan vom Bundesrat zur Umsetzung des Urteils aus Strassburg.
Klimastreik verlangt sofortiges Handeln
Der Klimastreik wiederum nimmt die Schweizer Politik in die Pflicht: Der heutige Entscheid stelle den Parlamenten kein gutes Zeugnis aus, hiess es in einer Medienmitteilung.
«Weltweit werden heute die Klimaziele verfehlt. Dies hat einen direkten Einfluss auf unser Leben und das der zukünftigen Generation.» Es sei ein notwendiges Übel und gleichermassen ein Armutszeugnis, wenn Gerichte das Parlament zwingen müssten, die Lebensgrundlagen nicht zu zerstören.
Bundesrat und Parlament müssten nun alle Hebel in Bewegung setzen, um die Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs von 1,5 Grad einzuhalten: «Wir können es uns nicht leisten, noch einmal zehn Jahre vor Gericht zu kämpfen. Dies, bis die Dringlichkeit der Klimakrise juristisch anerkannt und dementsprechend gehandelt wird.» So liessen sich verschiedene Vertreter des Klimastreiks im Communiqué zitieren.
«Greenpeace» spricht von «historischem Sieg»
Für den «Verein Klimaschutz» wiederum bestätigt das heutige Urteil ein schon lange bestehendes Anliegen: Die Schweiz mache nach wie vor zu wenig für den Schutz ihrer Bevölkerung vor den Folgen der Klimakrise. «Das heutige Urteil bestätigt, worauf der Verein Klimaschutz schon lange hinweist», so der Verein.
Die Schweizerische Energiestiftung (SES) bezeichnet das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ihrerseits als «historischen Sieg». Das Urteil sei richtungsweisend, schrieb die Stiftung. Damit sei offiziell, dass die Schweiz zu wenig getan habe, um die Bevölkerung in Bezug auf die Klimakrise zu schützen.
Auch «Greenpeace» spricht in diesem Zusammenhang von einem «historischem Sieg»: «Jetzt muss die Schweiz ihre aktuellen Klimazielsetzungen nachbessern und diese auf Basis wissenschaftlicher Grundlagen definieren.»
Greta Thunberg jubelt
Sehr erfreut über das Urteil gegen die Schweiz zeigte sich die bekannte schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg. «Das ist erst der Anfang in Sachen Klimastreitfälle», sagte die 21-Jährige am Dienstag in Strassburg.
«Weltweit bringen immer mehr Menschen ihre Regierungen vor Gericht, um sie für ihre Handlungen zu bestrafen. Auf keinen Fall dürfen wir zurückweichen, wir müssen noch mehr kämpfen.»