Migros: Experten zweifeln an neuer «Discounter»-Strategie
Geht die «Discount»-Offensive der Migros wirklich auf? Detailhandels-Experten haben Zweifel. Die wichtigsten Antworten bei Nau.ch.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Migros will 140 neue Filialen eröffnen und mehr auf Eigenmarken setzen.
- Logische Schritte, findet Detailhandels-Experte Marcel Stoffel.
- Dass die Migros aber plötzlich voll auf «Discounter» macht, sorgt für Stirnrunzeln.
- «Von der Migros erwarte ich mehr, als dass sie nur günstig ist.»
- Wirtschaftspsychologe Christian Fichter sieht die Gefahr, dass «Discount» billig wirkt.
Die Migros geht in die Offensive. Am Montag verkündet der kriselnde Detailhändler die Strategie für die Zukunft. Neue Läden, mehr Eigenmarken, tiefere Preise. Vor allem der letzte Punkt sorgt bei Detailhandels-Experten für Stirnrunzeln.
Marcel Stoffel, Gründer und CEO der grössten unabhängigen Schweizer Community für die Shoppingcenter-Branche (Swiss Council of Shopping Places) und Wirtschafts-Psychologe Christian Fichter schätzen die neue Strategie ein.
Passt Discount-Strategie überhaupt zur Migros?
Marcel Stoffel sieht in der Tiefpreis-Strategie gewisse Gefahren: «Wenn ich bei Denner, Lidl oder Aldi einkaufe, erwarte ich Discount-Preise. Aber von der Migros erwarte ich als Kunde eigentlich mehr, als dass sie nur günstig ist, sondern auch besser. Ich erwarte auch nicht, dass die Migros die günstigsten Preise hat.»
Was man von der Migros erwarte, seien zwar erschwingliche Preise. Aber vor allem auch das Wahrnehmen ihrer sozialen Verantwortung wie Nachhaltigkeit, Kundennähe, Qualität, Fairness, Wertschätzung.
Werte, welche in der DNA der Migros verankert sind. «Ob das mit der Discount-Ausrichtung noch möglich ist? Dahinter setze ich ein Fragezeichen.»
Hinzu komme: «Ein Discounter ist eigentlich ganz anders aufgestellt als die Migros.»
Ein Discounter sei etwa stark kostengetrieben, da er durch effiziente Betriebsabläufe und schlanke Prozesse möglichst niedrige Preise und somit eine hohe Preisattraktivität für Kunden sicherstellen möchte. Ein grosser Unterschied sei etwa die sehr vereinfachte und straffe Organisation.
«Ist das wirklich die Migros? Und kann sie mit ihren zehn Genossenschaften diese Schiene überhaupt fahren?»
Stoffel warnt, dass sie gerade etwas aufgibt, was sie eigentlich von der Konkurrenz unterschieden hat. Nämlich ein Unternehmen zu sein, dass nachhaltiges und verantwortungsvolles Einkaufen und kulturelle Vielfalt fördert, und für Kundennähe und eine besondere Verbundenheit zur Schweizer Gesellschaft und Natur steht.
Kann die Discount-Strategie abschrecken oder gar billig wirken?
«Absolut», sagt Wirtschaftspsychologe Christian Fichter. «Niedrige Preise werden mit minderer Qualität assoziiert. Besonders in einem Markt, der auf lokale und hochwertige Produkte setzt.» Die Migros müsse nun sicherstellen, dass Qualität und Preissenkungen klar kommuniziert werden, um diesen Effekt zu vermeiden.
Stoffel fügt an: «Was ich mich bei so extrem günstigen Preisen immer frage: Verdient hier überhaupt noch jemand Geld? Oder geht es nur darum, Marktanteile zu gewinnen und der Konkurrenz etwas wegzunehmen? Es ist nicht nachhaltig und das ist für mich irgendwie auch nicht die Migros.»
Trotzdem verstehe er, dass es einen Kurswechsel gibt. «Die Migros hat sich lange verzettelt. Jetzt versucht man einen Weg einzuschlagen, der die grössten Erfolgschancen bietet.»
Wen greift die Migros an?
In diesem Punkt gibt es geteilte Meinungen. «‹Es gibt keinen Grund mehr, zum Discounter zu gehen.› Es ist offensichtlich, wen die Migros angreift. Es ist ein Kampf gegen alle Discounter», so Stoffel.
Fichter sieht es anders: «Die grösste Gefahr besteht klar für Coop. Als direkter Konkurrent teilt Coop die Positionierung als eher hochwertiger Anbieter und wird durch die Preissenkungen der Migros direkt unter Druck gesetzt.» Aldi und Lidl seien aufgrund ihrer Positionierung im Niedrigpreissegment weniger betroffen.
Hätte die Migros die Preise früher senken sollen?
Auch hier gehen die Experten-Meinungen auseinander. Wirtschafts-Psychologe Fichter: «Die Preissenkungen kommen zu spät. Coop hat einen klaren Vorsprung und Kunden haben sich an die neuen Preisniveaus gewöhnt.»
«Man sollte solche langfristige Preissenkungen nicht mit kurzfristigen Aktionen verwechseln», so Detailhandels-Experte Stoffel. «Es handelt sich hier um einen strategischen Entscheid, das braucht immer ein wenig länger. Aufgrund der gesamten Transformation glaube ich nicht, dass der Schritt zu spät kommt.»
140 neue Filialen: Ist das genug?
Stoffel: «140 Filialen sind der Plan, wenn es dann am Ende 280 werden, ist es ein Zeichen, dass der Plan funktioniert hat. Mehr Filialen zu eröffnen, ist ein nachvollziehbarer Schritt, der sich aber auch aufgedrängt hat. Vor allem bei den kleineren Filialen musste man die Dichte erhöhen.»
Auch Fichter hält es für «richtig, wenn die Migros versucht, Lücken zu schliessen».
Braucht es wirklich mehr Eigenmarken im Sortiment?
Lob gibt es für die Migros, dass sie noch mehr Eigenmarken ins Sortiment aufnehmen will. Der Eigenmarken-Anteil wird von 78 auf 80 Prozent erhöht werden.
«Das passt zu 100 Prozent zur Migros», sagt Stoffel. Mit den Produkten würde man sich differenzieren. «Entscheidend wird hier sein, ob Kunden weiter ein Grundvertrauen in die Migros haben. Vertraut man der Migros, vertraut man den Eigenmarken.»
Auch Fichter applaudiert: «Eigenmarken sind beliebt und eine klare Stärke der Migros. Der Ausbau ist eine Rückkehr zu den Wurzeln, die Kunden anspricht, die Wert auf Qualität und Preis-Leistung legen.»
Allerdings hänge der Erfolg auch davon ab, ob es gelinge, die Balance zu halten. «Und weiterhin ein breites Sortiment anzubieten.»
«Kunde hat zu viel bezahlt»: Hat sich der Migros-Chef versprochen?
Migros-Chef Mario Irminger sagte bei der Präsentation der neuen Strategie, dass Kunden bislang «partiell zu viel bezahlt» hätten.
«Diese Aussage ist problematisch», kritisiert Fichter. «Sie hinterlässt bei den Kunden den Eindruck, jahrelang abgezockt worden zu sein, was das Vertrauen in die Marke unterminiert.»
Stoffel spricht von einer «unglücklichen» Wortwahl. «Man hört selten, dass ein Detailhändler so offen zugibt, dass Kunden zu viel bezahlt hätten.» Allerdings würden Kunden immer so viel bezahlen, wie ihnen ein Produkt wert ist.
Fichter fordert: «Die Kommunikation muss hier dringend betonen, dass sich dies nun nachhaltig ändert. Und die Migros in Zukunft bestmögliche Preise garantieren will.»