Migros – Kandidatin erzählt: So fühlte ich mich bei Video-Bewerbung
Ein HR-Experte kritisierte das Video-Bewerbungskonzept der Migros. Der Grossverteiler selbst sagt, man habe positive Rückmeldungen. Nun spricht eine Kandidatin.
Das Wichtigste in Kürze
- Grosse Firmen setzen heute auf Bewerbungsvideos – ein HR-Experte kritisierte das.
- Nun erzählt eine Migros-Kandidatin, wie sich der Kontakt per Video anfühlte.
- Zwar gebe die zeitversetzte Bewerbung Freiheit. Eine Sache könne aber auch stressen.
- Die Migros versichert, dass Kandidaten-Videos danach gelöscht werden.
HR-Experte Alexander Beck wählte bei Nau.ch zuletzt klare Worte: Dass grosse Firmen von Kandidaten im Auswahlprozess Bewerbungsvideos verlangen, hält er für «nicht angemessen».
Er mahnt, dass solche Anforderungen «zurückhaltende und introvertierte, aber kompetente Bewerberinnen und Bewerber abschrecken können».
Eine der grossen Firmen, die auf zeitversetzte Video-Interviews setzt, ist die Migros. Schon seit elf Jahren.
Bei Nau.ch schwärmt der orange Riese: «In den vergangenen zwölf Monaten haben 85 Prozent der Kandidaten ihre Erfahrung als ‹gut› oder ‹exzellent› bewertet.»
Anders als Beck findet die Migros: «In der Vorselektion ist es aus unserer Sicht eine zusätzliche Chance, sich zu präsentieren.» Bewerbende könnten mit «Fähigkeiten überzeugen, die auf Papier nur schwer vermittelbar sind.»
Wie es sich tatsächlich anfühlt, per Video in das Rennen um einen Job zu starten? Das weiss Nina T.*.
Die 27-Jährige bewarb sich vor Kurzem auf eine Stelle eines Migros-Betriebs. Bei Nau.ch erzählt sie ihre Sichtweise.
Migros: Bewerberin wird zum Videointerview eingeladen
Alles beginnt mit einer Einladung per Mail. «Wir konnten deine Bewerbung prüfen und haben einen sehr positiven Eindruck. Aus diesem Grund laden wir dich gerne zu einem Video-Interview ein. Damit wir noch etwas mehr über dich und deine Motivation für diese Stelle erfahren können.»
Im Antwortmail befindet sich sogleich der Eingangslink. «Ich schätzte das zeitversetzte Interview, das gibt Freiheit», sagt Nina. Wenn auch nur bedingt: «Ich wusste, dass ich mein Bewerbungsvideo innerhalb der nächsten zwei Tage aufnehmen muss.»
Kandidaten können testen und im Wohnzimmer loslegen
Weil sich Nina gut fühlt, legt sie gleich los. «Ich nahm eine Dusche, zog mir was Schönes an – und startete mein Bewerbungsgespräch im eigenen Wohnzimmer.»
Alles läuft bestens – zu Beginn. «Es hatte einen Erklärtext sowie ein Beispielvideo. Vor allem letzteres war sehr hilfreich. Auch wenn es ein ziemlicher Migros-Werbespot ist.»
Im Beispielvideo wird der Weg einer Kandidatin gezeigt – von der Bewerbung bis zum Job, schildert Nina.
Dann steht die nächste Phase an. «Bewerbende können Video-Testversuche machen – auch ich entschied mich dazu.»
Zu einfachen Fragen konnte Nina üben. Den Test kann man stetig wiederholen – «bis ich mich ‹ready› gefühlt habe».
Die Fragen
Nina schätzte, dass die Migros den Bewerbenden die Angst nahm. «Bevor es losging, hiess es, dass man sich nicht schlecht fühlen soll. Es sei eine spezielle Situation, das Gefühl sei meistens viel schlechter als letztlich das Video. Man soll sich nicht zu viele Gedanken machen.»
Los gehts – die Bildschirm-Kamera läuft!
Das zeitversetzte Bewerbungsgespräch beginnt – in einem Video-Clip erscheint eine Frau vom HR. Sie erklärt, dass sie nun ein paar Fragen stellen wird. «Es ist die gleiche Person, die Tage später auch das richtige Bewerbungsgespräch mit mir durchführen wird.»
Die Fragen werden recht allgemein gehalten, erinnert sich Nina. Eine davon: «Was ist Ihre Motivation, an diesem Projekt mitzuarbeiten?»
«Ich bekam zwei Minuten, um zu antworten. Man hat die Wahl, ob man sofort antworten will oder noch 30 Sekunden braucht, um zu überlegen.»
«Das war sehr komisch»
Bis hierhin fühlte sich Nina wohl – dann kamen aber die ersten unguten Gefühle. «Bewerbende sehen sich die ganze Zeit selbst im Bildschirm. Ich hatte das Gefühl, dass ich ein Selbstgespräch führe – das war wirklich sehr komisch.»
Von Mitbewerbern hätte sie dasselbe Feedback gehört. «Dass man das Fenster verkleinern kann, wird nicht klar genug beschrieben», fand Nina.
Gewöhnungsbedürftig sei auch die Zwei-Minuten-Uhr, die die ganze Zeit eingeblendet gewesen sei. «Diese stresste mich. Ich wusste, ich will noch dies und jenes sagen. Und setzte mich selbst unter Druck, weil die Antworten möglichst kurz sein müssen.»
Der Unterschied zum Live-Interview
Wohl auch darum habe man am Ende des zeitversetzten Bewerbungsgesprächs ein ungutes Gefühl. «Man will alles in die zwei Minuten reinpacken. Das ist in einem ‹normalen› Bewerbungsgespräch nicht so. Für eine Antwort hat man so lange, wie man braucht, wird höchstens von den Fragestellenden unterbrochen.»
Dennoch: Nina gehört trotz ihres «unguten Gefühls» zu den 85 Prozent, die das zeitversetzte Video-Interview als «gut» oder «exzellent» bewerten.
Wie von der Migros angekündigt, hat sie ihre Sache wohl besser gemacht, als sie selbst angenommen hatte. Die 27-Jährige übersteht die Runde mit dem Computer-Interview und schafft es in Runde zwei.
Nach dem «normalen» Live-Bewerbungsgespräch – dieses findet bei der Migros via Teams statt – erhält sie dann aber eine Absage.
Migros garantiert: Videos werden gelöscht
Die Migros unterstreicht, dass auch die Führungskräfte positive Rückmeldungen geben würden. Doch was passiert eigentlich mit den aufgenommenen Bewerbungsvideos?
Wie sämtliche Bewerbungsunterlagen unterliegen auch diese den eidgenössischen Datenschutzbestimmungen, so die Migros. «Kandidaten können ihr Video-Interview jederzeit gesamthaft löschen lassen. Ohne Gegenbericht werden die Videos innerhalb der vorgegebenen Frist automatisch gelöscht.»
* Name der Redaktion bekannt.