Schweizer Medien lassen Artikel in Bosnien korrigieren
Schweizer Medien – auch Nau.ch – lassen ihre Texte in Bosnien korrigieren. Ein Besuch in Banja Luka zeigt, wie das funktioniert.
Das Wichtigste in Kürze
- Schweizer Medien lassen ihre Artikel im bosnischen Banja Luka auf Fehler prüfen.
- Die Korrektorinnen sprechen allesamt perfekt Deutsch. Das hat auch mit dem Krieg zu tun.
- Ein Besuch zeigt, wie in Banja Luka gearbeitet wird.
«Ist alles schon bezahlt!» Die Antwort nach einem gemeinsamen Nachtessen mit dem Besuch aus der Schweiz und ein paar Gläsern Bier ist klipp und klar. Es gibt keine Widerrede – Gastfreundschaft wird in Bosnien grossgeschrieben.
Banja Luka ist die Hauptstadt der Republik Srpska im Norden von Bosnien und Herzegowina mit rund 200'000 Einwohnern. Hier arbeiten unter anderem Amela Domazet, Melisa Zec, Gordana Barac, Sandra Midzan und Anita Pejic für Schweizer Firmen. Hauptsächlich für Medienunternehmen.
Auslagerung sorgt für Kritik
Seit einigen Monaten korrigieren sie auch die wichtigsten Texte von Nau.ch. Schon länger sind sie verantwortlich für fehlerfreie Artikel bei anderen Online-Portalen sowie im Verlag von CH Media. Dazu zählen zahlreiche Schweizer Regionalzeitungen.
Die Auslagerung des Korrektorats sorgte vor zwei Jahren für Empörung in der Schweiz. Tenor der Kritiker: Um Kosten zu senken, greifen Schweizer Medien auf günstige, zweitklassige Mitarbeiterinnen im Balkan zurück.
Korrekt ist, dass Geld eine Rolle spielt. Verlage versuchen allenthalben Kosten zu sparen, wo das ohne offensichtliche Abstriche am Endprodukt möglich ist. Auch, um möglichst wenige Journalistinnen und Journalisten entlassen zu müssen.
Im Gegensatz dazu sind gegen 40 Prozent der Menschen in Banja Luka arbeitslos, der Durchschnittslohn beträgt rund 450 Euro pro Monat. Das Gehalt von Melisa, Gordana und Co. liegt darüber. Sie arbeiten in der Firma von Michael Thuleweit.
Deutschkenntnisse auf Muttersprachniveau
Der 60-jährige deutsche IT-Guru bietet mit seiner Firma tool-e-byte Lösungen für fast alles an. Korrekturlesen, Buch-Digitalisierungen, Rechnungsabwicklung, IT-Lösungen, Kundenkorrespondenz. Alles kein Problem – und das zu einem günstigen Preis für Firmen in Westeuropa.
Thuleweit beschäftigt nicht nur Menschen in Bosnien, sondern auch in Indien und Südamerika. Damit will er sicherstellen, dass dank der Zeitunterschiede rund um die Uhr gearbeitet werden kann. «Gute Deutschkenntnisse sind bei uns natürlich unabdingbar», sagt er.
Bevor jemand eingestellt werde, fänden strikte Sprachtests statt. Und: Bereits beim Einstellungsgespräch mache er die wichtigsten Grundregeln seiner Multi-Kulti-Firma transparent: «Wenn jemand andere aufgrund von Religion oder Geschlecht diskriminiert, fliegt er umgehend raus.»
In Bosnien sei das trotz der komplizierten historischen und politischen Situation kaum je ein Thema. Und auch sprachlich ist er in Banja Luka bestens aufgestellt. Die allermeisten der Korrektorinnen – Frauen sind deutlich in der Mehrheit – sprechen Deutsch auf Muttersprachniveau.
«Irgendjemand muss ja auch in Bosnien bleiben»
Viele von ihnen sind in Deutschland aufgewachsen, weil sie vor dem grausamen Krieg in ihrer Heimat geflüchtet sind. Anita kam als 6-jähriges Mädchen zurück nach Bosnien. Melisas Eltern leben noch immer in der Nähe von München, hin und wieder besucht sie diese. Sandra Midzan spricht ebenfalls besser Hochdeutsch als die meisten Schweizerinnen und Schweizer.
Durch das genaue Lesen Tausender Seiten von Schweizer Medien wissen die Bosnierinnen ziemlich genau Bescheid, was in der Schweiz oder in Deutschland gerade zu reden gibt. Sie sind nicht überrascht, wenn sie hören, wie die Lohnsituation dort aussieht.
Haben sie sich nie überlegt, dorthin auszuwandern? «Doch, natürlich. Das tun praktisch alle Bosnierinnen und Bosnier», sagt Melisa Zec offen.
Tatsächlich schrumpft die Bevölkerung des geteilten Staats seit Jahrzehnten. Noch etwas über drei Millionen Menschen leben in Bosnien und Herzegowina, Tendenz klar sinkend.
Doch warum gehen sie nicht? Mit ihren Sprachkenntnissen hätten Frauen wie Sandra oder Anita viele Möglichkeiten. «Irgendjemand muss ja auch noch hier bleiben», lacht Letztere. Ausserdem gefalle es ihr in Banja Luka sehr gut.
Arbeiten im Glasbau – und von zu Hause
Schon vor ihrer Tätigkeit bei tool-e-byte hatte Anita Berührungspunkte zur Schweiz. Sie nahm Telefonanrufe von verärgerten Kunden einer Schweizer Krankenkasse entgegen. «Ja, das brauchte Nerven. Immerhin verstehe ich deshalb nun einige Brocken Schweizerdeutsch.»
Auch heute arbeitet sie neben dem Korrekturlesen zur Abwechslung in der Kundenbetreuung. Beim Korrektorat sind manche der Mitarbeiter auch im Homeoffice tätig. Im modernen Glasbau im Zentrum von Banja Luka gibt es im Lektoratsbüro sieben Arbeitsplätze. Gearbeitet wird im Schichtbetrieb, am Nachmittag sind fünf davon belegt.
Gordana Barac zeigt dem Besuch aus der Schweiz, wie sie arbeitet. Dabei sagt sie den Kunden aus der Eidgenossenschaft direkt, was diese noch verbessern könnten. Währenddessen arbeiten Melisa Zec, Radomir Blagojevic, Sandra Midzan und Nadina Hadzic-Dakic konzentriert an ihren Texten.
Gegen Abend liegt der Fokus oft auf den Schweizer Regionalzeitungen, dazwischen kommen immer wieder Texte anderer Redaktionen. Gerade bei Online-Portalen drängt manchmal die Zeit. Werden zehn Minuten für einen Text von Nau.ch aufgewendet, wird das auch so in Rechnung gestellt.
Schlechte Infrastruktur und viel Natur
Verantwortlich für die Personalplanung ist in Banja Luka Milos Pesic. Er ist erst vor wenigen Monaten zum Team gestossen und steht täglich in engem Kontakt mit Mitarbeitern in Indien und Peru.
Der studierte Jurist zeigt sich stets gut gelaunt und spricht offen über seine berufliche und persönliche Situation. Kürzlich sei er etwa zusammen mit seiner Frau in Kroatien gewesen, um dank Arbeit im Gastgewerbe genügend Geld für einen Autokauf zusammenzubekommen: 3'500 Euro.
Diese Mobilität ist für viele Bosnier auch nötig, denn der öffentliche Verkehr in Bosnien ist im Vergleich zur Schweiz quasi inexistent. Ausserhalb der Städte besteht das hügelige Bosnien, das flächenmässig etwas grösser ist als die Schweiz, primär aus Natur und sehr viel Wald.
Die hervorragend gepflegten Autobahnabschnitte zwischen Banja Luka und Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina, sind selbst während der hiesigen Stosszeiten praktisch ausgestorben.
Das hat natürlich mit den Gebühren zu tun. Pro 100 Kilometer müssen rund 5 bosnische Mark bezahlt werden. Das sind umgerechnet 2.50 Euro - in Bosnien ist das für die meisten viel Geld.
Artikel in linker Schweizer Zeitung sorgt für Stirnrunzeln
In Banja Luka scheint an diesem Freitag im November die Sonne, es herrschen angenehme 20 Grad. Anders war das vor ziemlich genau einem Jahr. Zu Besuch war eine Journalistin der linken Schweizer «Wochen-Zeitung».
Unter dem Titel «Die Korrektorinnen von Banja Luka» erschien kurz darauf ein Text, der in der Branche für Aufsehen sorgte. Der Artikel hängt auch prominent im Einzelbüro von Amela Domazet.
Sie ist die Geschäftsführerin des Tochterunternehmens in Bosnien. Domazet, eine strenge, aber freundliche Vorgesetzte freut sich über das Interesse der Medien. Auch der «Süddeutschen Zeitung» gab sie kürzlich Auskunft.
Die betroffenen Frauen waren ob dem «WoZ»-Text allerdings nur mässig begeistert. «Bei vielen Lesern ist wohl der Eindruck hängen geblieben, dass wir zu Hungerlöhnen in einem völlig korrupten Land leben, das keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat», sagt Melisa.
«Aber wir mögen unsere Arbeit und sind ein wirklich tolles Team.» Vielleicht habe der «negative Grundton» des Artikels auch mit dem Wetter von damals zu tun, mutmasst sie.
Klar wird jedenfalls: Die bosnischen Korrektorinnen und Korrektoren wollen keinesfalls als Opfer angesehen werden, sondern als positives Beispiel für eine gute Entwicklung in ihrer Heimat. Trotz grassierender Korruption und verbreitetem Nationalismus wollen sie die Hoffnung auf Besserung nicht aufgeben.
Rückkehr, Studium, Arbeit, Hoffnung
Wie viele andere ist auch Melisa in den 90er-Jahren mit den Eltern und ihrer Schwester vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland geflüchtet. Sie war damals fünf Jahre alt. Fünf Jahre später kehrte sie mit der Familie unfreiwillig nach Bosnien zurück. Ihre Schwester arbeitet heute als Professorin an der Universität.
Auch Melisa selbst machte das Beste aus der schwierigen Rückkehr, schloss an der Universität ein Studium in Journalismus ab. Auf die Frage, ob sie nicht auch selbst Texte schreiben möchte, sagt sie: «Eigentlich schon. Ich habe das immer schon gemacht. Gedichte und Texte geschrieben, meist auf Deutsch.»
Doch die Löhne für Reporter seien in Bosnien dermassen tief, dass man kaum davon leben könne. Dass sie und ihre Arbeitskolleginnen dennoch zufrieden sind mit ihrem Leben, nimmt man ihnen nach wenigen Minuten Austausch ab.
«Ab 30 sollte man etwas seriöser werden»
Beim Gespräch in einem schicken, frisch eröffneten Brauhaus in der Nähe der Uni von Banja Luka, wird viel gelacht. Und auch das eine oder andere Bier getrunken. Die meisten von ihnen seien zwar seit Jahren eng befreundet. Doch zum Feierabend-Umtrunk komme es nicht mehr so oft wie früher, sagt Sandra.
Durch den Schichtbetrieb habe man selten gemeinsam Feierabend. «Und ich bin gerade 30 geworden. Da gibt es schon die Erwartung, dass man etwas seriöser wird und nicht mehr jeden Abend um die Häuser zieht», fügt Melisa grinsend an.
Sandra verabschiedet sich jedenfalls nach kurzer Zeit wieder. «Ich muss morgen fit sein, ich korrigiere ab 10 Uhr eure Texte», schmunzelt sie. Zusammen mit Gordana, die etwas ausserhalb von Banja Luka mit ihrer Mutter wohnt, macht sie sich auf den Heimweg.
Wandert noch mehr Arbeit nach Banja Luka?
Langweilig sei es im Büro nie, sagen alle unisono. Die Arbeit gehe nie aus. Und die Chance, dass diese noch zunimmt, ist gross. Denn Michael Thuleweit ist überzeugt, dass die Zeit in der Medienbranche für ihn arbeitet.
Ohne Namen zu nennen, deutet er zwischendurch an, dass er Gespräche führt mit weiteren Verlagen. Nicht nur, aber auch aus der Schweiz.