Senioren verzichten aus Scham auf Ergänzungsleistungen
Laut einer Studie verzichten rund 230'000 Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz auf Ergänzungsleistungen, obwohl sie Anspruch darauf hätten. Die Gründe.
Das Wichtigste in Kürze
- Seniorinnen und Senioren in der Schweiz leben von der AHV-Rente.
- Wer so seine minimalen Lebenskosten nicht decken kann, darf Ergänzungsleistungen beziehen.
- Doch viele verzichten darauf – unter anderem aus Scham, vom Staat Hilfe zu beziehen.
In rund einem Monat kommt es in der Schweiz zur Abstimmung zur 13. AHV-Rente. Für die Initianten ist klar, dass die Renten in der Schweiz flächendeckend ungenügend sind.
Die Gegner argumentieren hingegen, dass mit Ergänzungsleistungen bereits ein Instrument zur Unterstützung der Rentnerinnen und Rentner bestehe. Diese würden ihre Existenzsicherung gewährleisten. Die Initianten sehen darin eher «eine Art Backup» für Senioren in Notlage.
Mit den Ergänzungsleistungen werden seit 1966 Rentnerinnen und Rentner unterstützt, die mit der AHV-Rente die minimalen Lebenskosten nicht decken können. Im Jahr 2022 machten schweizweit 12,3 Prozent aller Senioren (knapp 220'000 Menschen) davon Gebrauch. Das kostete den Bund und die Kantone rund 3,2 Milliarden Franken.
Per 1. Januar 2024 wurden dann Zehntausenden Rentnerinnen und Rentnern die Ergänzungsleistungen (EL) gekürzt. Mehrere Tausend Einkommensschwache verloren diese staatliche Unterstützung sogar komplett.
Rund 230'000 Menschen verzichten trotz Anspruch auf Ergänzungsleitungen
Doch es gibt auch viele, die Anspruch hätten, ihn aber nicht geltend machen. Eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigt dies auf. Schätzungsweise 15,7 Prozent der dazu berechtigten Rentner verzichten auf die Ergänzungsleistungen zur AHV. Das sind etwa 230'000 Menschen.
«Würden alle berechtigten Rentner ihren Anspruch geltend machen, dann könnte die Armutsquote bei Älteren halbiert werden», erklärt Studien-Mitautor Rainer Gabriel in der «Aargauer Zeitung». Dies zeige, dass die Ergänzungsleistungen «ihren Auftrag der Armutsbekämpfung nicht flächendeckend erfüllen».
Gründe für den Verzicht gibt es offenbar mehrere: Zum Teil gebe es viele Betroffene, die gar nicht wüssten, dass sie ein Anrecht darauf hätten. Auch das komplexe Antragsverfahren mit der Offenlegung sämtlicher Vermögenswerte, Einnahmen und Ausgaben schrecke viele ab.
Ältere Generation will Staat nicht zur Last fallen
Laut Peter Burri Follath von Pro Senectute spielt aber auch Scham eine Rolle: Viele ältere Menschen würden sich scheuen, finanzielle Hilfe anzunehmen. «Sie sehen dies als Zeichen von Abhängigkeit oder Versagen.»
Dies bestätigt auch Simone Gretler Heussler vom Institut für soziokulturelle Entwicklung der Hochschule Luzern: Gerade die ältere Generation wolle dem Staat nicht zur Last fallen. Stattdessen würden sie «lieber am Existenzminimum leben und sich stark einschränken». Da dies in jüngeren Altersgruppen anders sei, werde sich das wohl aber künftig ändern.
Dennoch brauche es laut den Experten mehr Informations- und Sensibilisierungskampagnen. Ausserdem sollte laut Pro Senectute der Antragsprozess vereinfacht werden.